COMPLETE Norwegische Volksmährchen von Asbjørnsen und Moe -ck

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Carolin
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Norwegische Volksmährchen von Peter Christen Asbjørnsen (1812 - 1885) und Jörgen Moe (1813 - 1882)
Übersetzt von Friederich Bresemann (1809 - 1850)
.

This project is now complete! All audio files can now be found on the catalog page for this project: https://librivox.org/norwegische-volksmaehrchen-by-peter-christen-asbjornsen/

Dies ist ein ehemaliges Soloprojekt, das als Gruppenprojekt weitergeführt wird.
Dies ist eine Sammlung besonderer Märchen aus Norwegen. Wer noch nicht mit den norwegischen Märchen bekannt ist, wird in dieser Sammlung einige schöne, unterhaltsame, kuriose und zuweilen bizarre Erzählungen finden, und diese hoffentlich sehr genießen. ( Carolin)
    1. Wie Du Dir einen Abschnitt sicherst und "wie hier alles funktioniert" Um einen Abschnitt zum Aufnehmen zu finden, schau Dir einfach Punkt 5 unten an. Alle Abschnitte ohne Namen daneben sind noch zu haben. Klicke auf "Post reply" oben links auf dem Bildschirm und sage uns, welchen Abschnitt Du lesen möchtest (bitte schreibe auch die Abschnittsnummer aus der linken Spalte dazu). Die Punkte 6 bis 8 unten sagen Dir, was vor, während, und nach der Aufnahme zu tun ist.
    2. Noch nie aufgenommen? Lies bitte unsere Anleitung zum Aufnehmen für Anfänger!
    3. Gibt es eine Einreichfrist? Wir bitten Dich, Deine Aufnahmen innerhalb von 1 bis 2 Monaten nach Deiner Anfrage einzureichen. Bitte beachte: Aus Fairness gegenüber den Lesern, die ihre Kapitel zeitgerecht eingereicht haben, werden Deine Kapitel automatisch wieder freigegeben, falls Du Deine Aufnahmen nicht innerhalb von zwei Monaten einreichst. Du kannst aber in diesem Thread nach einer Terminverlängerung fragen, falls Du es nicht schaffst. Verlängerungen gewährt der BC nach eigenem Ermessen. Wenn Du Dein Kapitel nicht aufnehmen kannst, sag einfach Bescheid, und es wird wieder freigegeben. Das ist überhaupt kein Problem, wir sind alle Freiwillige, das kann jedem passieren.Bitte melde Dich nicht für mehr Abschnitte an, als Du innerhalb der 2 Monate Frist schaffen kannst.
    4. Wo finde ich den Text? Quelltext (Bitte nur von diesem Text lesen!): http://www.gutenberg.org/ebooks/29796
      Da Gutenberg von Deutschland aus nicht mehr zugänglich ist, habe ich alle Abschnitte in die folgenden Posts kopiert. Links im MW!
    5. Bitte suche Dir einen Abschnitt aus (entsprechend den Nummern in der ersten Spalte unten)! Falls dies Deine erste Aufnahme ist, lasse mich bitte wissen, unter welchem Namen oder Pseudonym Du im Librivox-Katalog aufscheinen möchtest. Wir können auch eine persönliche Webseite oder Blog verlinken.

      Potenzielle Korrekturhörer: Bitte lies die Listeners Wanted FAQ vor dem Zuhören. Erwünschte Korrekturstufe: standard

      Bitte warte mit dem Herunterladen und Zuhören, bis das Projekt fertig ist (außer Du bist der BC oder PL). Unser Server ist leider nicht für so viele Downloads geeignet. Dankeschön!

      Magic Window:



      BC Admin
    6. Was muss ich beachten, BEVOR ich aufnehme? Bitte lies die Aufnahmehinweise: viewtopic.php?p=6430#p6430

      Software-Einstellungen:
      Kanäle: 1 (Mono)
      Bit-Rate: 128 kbps
      Samplefrequenz: 44.1 kHz
    7. Was soll ich BEI der Aufnahme beachten?:
      Lasse nicht mehr als 0,5 bis 1 Sekunde Stille am Anfang der Aufnahme!
      Bitte füge am Anfang der Aufnahme hinzu:
      Am ANFANG der Aufnahme (Intro)
      • "Abschnitt [Nummer] von Norwegische Volksmährchen. Dies ist eine Librivox Aufnahme. Alle Librivox Aufnahmen sind lizenzfrei und in öffentlichem Besitz. Weitere Informationen und Hinweise zur Beteiligung an diesem Projekt gibt es bei: librivox PUNKT org"
      • Wenn Du möchtest, sage: "Aufgenommen von [Dein Name], [Stadt, Dein Blog, Podcast, Webseite]"
      • Sage:
        " Norwegische Volksmährchen, von Peter Christen Asbjørnsen und Jörgen Moe. Übersetzt von Friederich Bresemann. [Titel]"

      ENDE der Aufnahme
      • Am Ende jedes Abschnittes sage:
        "Ende von Abschnitt [Nummer]"
      • Wenn Du möchtest, sage:
        "Aufgenommen von [Dein Name], [Stadt, Dein Blog, Podcast, Webseite]"
      • Am Ende des Buches sage (zusätzlich):
        "Ende von Norwegische Volksmährchen, von Peter Christen Asbjørnsen und Jörgen Moe. Übersetzt von Friederich Bresemann."

      Lasse am Ende jeder Aufnahme ~5 Sekunden Stille.

      Vergiss nicht, in diesem Thread häufig nach Neuigkeiten nachzuschauen!
    8. Was mache ich NACH der Aufnahme?
      Ist Rauschentfernung nötig?
      Höre Dir Deine Aufnahme mit Kopfhörern an. Wenn Du ein ständiges Hintergrundgeräusch (Zischen, Dröhnen) hörst, solltest Du es entfernen. Wir empfehlen die neueste Version von Audacity für die Rauschentfernung. Auf dieser Wikiseite findest Du einen vollständigen Leitfaden.
      Speichere die Dateien als
      128 kbps MP3
      volksmaehrchen_##_moe_128kb.mp3 (alles in Kleinbuchstaben), wobei ## die Abschnittsnummer ist (e.g. volksmaehrchen_01_moe_128kb.mp3)
    9. Beispiel für die ID3 V2 tags: (lass die einfach frei!)

      Die Tags für Genre und Titelnummer kannst Du ignorieren – diese werden beim Katalogisieren automatisch vergeben.
      Wie lade ich meine fertigen Aufnahmen (Dateien) hoch? Bitte poste immer in diesem Forumsthread, wenn du eine Datei hochgeladen hast. Bitte poste außerdem die Länge der Aufnahme (Länge: mm:ss).
      • Die Dateien mit dem Librivox Uploader hochladen: https://librivox.org/login/uploader
        Image
        (Wenn Du Probleme hast, das obige Bild zu lesen, kontaktiere bitte einen Admin)
      • Du musst den MC auswählen. Für dieses Projekt ist das: Carolin
      • Wenn die Datei fertig hochgeladen wurde, erscheint ein Link. Bitte poste diesen Link hier in diesem Forumsthread.
      • Wenn das nicht funktioniert, oder Du Fragen hast, schau bitte hier nach: How To Send Your Recording wiki page.
      Noch Fragen?
      Bitte poste unten
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Abschnitt 0

Vorwort.

Vor funfzig Jahren etwa waren bei vielen ernsthaften, selbst gebildeten Leuten die Mährchen, Erzählungen von Feen und seltsamen Erscheinungen von Gespenstern und Geistern in üblem Ruf. Die Geschichten der Tausend und Einen Nacht genossen bei poetischen Gemüthern einige Achtung, sie waren wenigstens von den Leihbibliotheken nicht ausgeschlossen. Die Erzählungen meiner Mutter Gans waren über ganz Europa verbreitet, doch nur in den Händen der Kinder. Einige Jahre früher hatte unser deutscher Musäus seine humoristischen Volksmährchen fast als stärkendes Mittel in die damals überfluthende weichliche Sentimentalität hineingeworfen, und sie fanden allgemeinen Beifall, den sie auch bis jetzt sich erhalten haben, obgleich das poetische Element dieser alten Volks-Sagen und Dichtungen nicht selten durch Anspielungen auf ganz moderne Dinge und zu prosaische Zustände verfinstert ist. Man rechnete aber diese exotischen Pflanzen und Blumen nicht zur eigentlichen Literatur, und als ich um 1796 meine Versuche in dieser Art herausgab und uralte Geschichten in ein andres Gewand kleidete, wurde ich von vielen meiner Freunde und Wohlwollenden sehr ernsthaft getadelt.

Wie hat sich seitdem diese Gegend der Bücherwelt verwandelt! Eine ganze reiche Literatur dieser Mährchen ist entstanden und aus allen Ländern der Erde zusammengetragen.

Viele von diesen Volks- und Kindermährchen sind durch Tradition und viele Jahre verwandelte und verderbte epische Gedichte, und es ist interessant und rührend überraschend, wenn von Zeit zu Zeit im verschütteten Grunde der alte Baum noch grünend wiedergefunden wird, den gedächtnißlose Jahre in ein unkenntliches Sträußchen zusammengetrocknet haben. Ergeht man sich in diesen Forschungen, so wird unser Sinn endlich verwirrt und schwindelnd, weil bei zu genauer Untersuchung Indien und Frankreich, Deutschland und Italien mit Island und dem Nordpol zusammenfließen. Alle Völker, alle Kinder haben sich von je an größeren und kleineren Mährchen ergötzt, Kinder selbst haben manche erfunden, oder die sie hörten auf ihre Art nachgeahmt, andre, alte und junge Frauen haben diese auf ihre Art wieder umgebildet, und so findet der Suchende jetzt in allen Ländern zum Theil dieselben Sagen wieder, mehr oder minder vom Clima, dem Süden oder Norden gefärbt.

Und so nehme man auch diese Sammlung freundlich auf, diesen nordischen Strauß von Spätblumen und einigen seltsamen Pflanzen. Die interessantesten möchten wohl die Erzählungen sein, die von einem leichten, gutmüthigen Humor angefärbt sind. Wenn Aschenbrödel, Blaubart, und manche ganz allgemein verbreitete Legenden oft und unter mancherlei Gestalten vorkommen, so lasse man sich auch die oft nicht bedeutende Variation gefallen, und bei einfachen, natürlichen Kindern müßten die meisten dieser Geschichten Eingang und eine freundliche Aufnahme finden.

Immer in ähnlicher Gestalt mit zwei bis neun Köpfen erscheint der ungeschlachte, boshafte Riesengeist Troll. Um 1790, als W. v. Schlegel noch in Göttingen lebte, und sehr befreundet war mit unserm deutschen Dichter Bürger, ergingen sich Lehrer und Schüler auch oft in den Wäldern nordischer Poesie. Damals war selbst unter Gelehrten in Dänemark und Schweden nicht viel Kunde von dieser Region, und so bildete sich der poetische Bürger ein, unser deutsches Wort drollig sei von diesem schadenfrohen Nordgeiste abgeleitet, und in diesem Glauben bildete Schlegel nachher in seinem Sommernachtstraum den Kobold Droll, statt des englischen alt-nationalen Puck, welcher freilich ein ganz anderer und mehr komischer Gesell ist, als diese Trollgeister sich zeigen. Schon vor vielen Jahren stritt ich mit Schlegel über diesen (vielleicht unbedeutenden) Punkt, bis denn zu Maria Weber's Oberon ein Engländer selbst seinem Puck ungetreu geworden ist, und diesen neu beförderten Geist Droll singen und sprechen läßt.

Meinen Dank dem kundigen Übersetzer, der mich diese Sagen hat kennen lernen, und dessen Wunsch ich gern genügt habe, ein kleines einleitendes Wort dieser Sammlung vorzusehen.

L. Tieck.

Potsdam in den letzten Tagen des
October 1846, unmittelbar nach einer
schweren Krankheit.
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1.

Von Aschenbrödel,
welcher die silbernen Enten, die Bettdecke und die goldne
Harfe des Trollen stahl.


Es war einmal ein armer Mann, der hatte drei Söhne. Als er starb, wollten die beiden ältesten in die Welt reisen, um ihr Glück zu versuchen; aber den jüngsten wollten sie gar nicht mit haben. »Du da,« sagten sie: »taugst zu nichts Anderm, als in der Asche zu wühlen. Du!« — »So muß ich denn allein gehen,« sagte Aschenbrödel. Die beiden gingen und kamen zu einem Königsschloß; da erhielten sie Dienste, der eine beim Stallmeister, und der andre beim Gärtner. Aschenbrödel ging auch fort und nahm einen großen Backtrog mit, das war das Einzige, was die Ältern hinterlassen hatten, wonach aber die andern beiden nichts fragten; der Trog war zwar schwer zu tragen, aber Aschenbrödel wollte ihn doch nicht stehen lassen. Als er eine Zeitlang gewandert war, kam er ebenfalls zu dem Königsschloß, und dort bat er um einen Dienst. Sie antworteten ihm aber, daß sie ihn nicht brauchen könnten; da er indeß so flehentlich bat, sollte er zuletzt die Erlaubniß haben, in der Küche zu sein und der Köchinn Holz und Wasser zuzutragen. Er war fleißig und flink, und es dauerte nicht lange, so hielten Alle viel von ihm; aber die beiden Andern waren faul, und darum bekamen sie oft Schläge und wenig Lohn und wurden nun neidisch auf Aschenbrödel, da sie sahen, daß es ihm besser ging.

Dem Königsschloß grade gegenüber, an der andern Seite eines Wassers, wohnte ein Troll, der hatte sieben silberne Enten, die auf dem Wasser schwammen, so daß man sie von dem Schloß aus sehen konnte; die hatte sich der König oft gewünscht, und deßhalb sagten die zwei Brüder zu dem Stallmeister: »Wenn unser Bruder wollte, so hat er sich gerühmt, dem König die sieben silbernen Enten verschaffen zu können.« Man kann sich wohl denken, es dauerte nicht lange, so sagte der Stallmeister es dem König. Dieser sagte darauf zu Aschenbrödel: »Deine Brüder sagen, Du könntest mir die silbernen Enten verschaffen, und nun verlange ich es von Dir.« — »Das habe ich weder gedacht, noch gesagt,« antwortete der Bursch. »Du hast es gesagt,« sprach der König: »und darum sollst Du sie mir schaffen.« — »Je nun,« sagte der Bursch: »wenn's denn nicht anders sein kann, so gieb mir nur eine Metze Rocken und eine Metze Weizen; dann will ich's versuchen.« Das bekam er denn auch und schüttete es in den Backtrog, den er von Hause mitgenommen hatte, und damit ruderte er über das Wasser. Als er auf die andre Seite gekommen war, ging er am Ufer auf und ab und streu'te und streu'te, und endlich gelang es ihm, die Enten in den Trog zu locken und nun ruderte er, all was er nur konnte, wieder zurück.

Als er auf die Mitte des Wassers gekommen war, kam der Troll an und ward ihn gewahr. »Bist Du mit meinen sieben silbernen Enten davongereis't, Du?« fragte er. »Ja—a!« sagte der Bursch. »Kommst Du noch öfter, Du?« fragte der Troll. »Kann wohl sein,« sagte der Bursch. — Als nun Aschenbrödel mit den sieben silbernen Enten zurück zu dem König kam, wurde er noch beliebter im Schloß, und der König selbst sagte, es wäre gut gemacht. Aber darüber wurden seine Brüder noch aufgebrachter und noch neidischer auf ihn und verfielen nun darauf, zum Stallmeister zu sagen, jetzt hätte ihr Bruder sich auch gerühmt, dem König die Bettdecke des Trollen mit den silbernen und goldnen Rauten verschaffen zu können, wenn er bloß wolle; und der Stallmeister war auch diesmal nicht faul, es dem König zu berichten. Der König sagte darauf zu dem Burschen, daß seine Brüder gesagt hätten, er habe sich gerühmt, ihm die Bettdecke des Trollen mit den silbernen und goldnen Rauten verschaffen zu können, und nun solle er es auch, oder sonst solle er das Leben verlieren. Aschenbrödel antwortete, das hätte er weder gedacht, noch gesagt; da es aber nichts half, bat er um drei Tage Bedenkzeit. Als die nun um waren, ruderte Aschenbrödel wieder hinüber in dem Backtrog und ging am Ufer auf und ab und lauerte. Endlich sah er, daß sie im Berge die Bettdecke heraushängten, um sie auszulüften; und als sie wieder in den Berg zurückgegangen waren, erschnappte Aschenbrödel die Decke und ruderte damit zurück, so schnell er nur konnte. Als er auf die Mitte gekommen war, kam der Troll an und ward ihn gewahr. »Bist Du es, der mir meine sieben silbernen Enten genommen hat?« rief der Troll. »Ja—a!« sagte der Bursch. »Hast Du nun auch meine silberne Bettdecke mit den silbernen und goldnen Rauten genommen?« — »Ja—a!« sagte der Bursch. »Kommst Du noch öfter, Du?« — »Kann wohl sein,« sagte der Bursch. Als er nun zurückkam mit der goldnen und silbernen Decke, hielten Alle noch mehr von ihm, denn zuvor, und er ward Bedienter beim König selbst. Darüber wurden die andern Beiden noch mehr erbittert, und um sich zu rächen, sagten sie zum Stallmeister: »Nun hat unser Bruder sich auch gerühmt, dem König die goldne Harfe verschaffen zu können, die der Troll hat, und die von der Beschaffenheit ist, daß Jeder, wenn er auch noch so traurig ist, froh wird, wenn er darauf spielen hört.« Ja, der Stallmeister, der erzählte es gleich wieder dem König, und dieser sagte zu dem Burschen: »Hast Du es gesagt, so sollst Du es auch. Kannst Du es, so sollst Du die Prinzessinn und das halbe Reich haben; kannst Du es aber nicht, so sollst Du das Leben verlieren.« — »Ich habe es weder gedacht, noch gesagt,« antwortete der Bursch: »aber es ist wohl kein andrer Rath, ich muß es nur versuchen; doch sechs Tage will ich Bedenkzeit haben.« Ja, die sollte er haben; aber als sie um waren, mußte er sich aufmachen. Er nahm nun einen Lattenspiker, einen Birkenpflock und einen Lichtstumpf in der Tasche mit, ruderte wieder über das Wasser und ging dort am Ufer auf und ab und lauerte. Als der Troll herauskam, und ihn gewahr ward, fragte er: »Bist Du es, der mir meine sieben silbernen Enten genommen hat?« — »Ja—a!« antwortete der Bursch. »Du bist es, der mir auch meine Decke mit den goldnen und silbernen Rauten genommen hat?« fragte der Troll. »Ja—a!« sagte der Bursch. Da ergriff ihn der Troll und nahm ihn mit sich in den Berg. »Nun, meine Tochter,« sagte er: »nun hab' ich ihn, der mir meine silbernen Enten und meine Bettdecke mit den silbernen und goldnen Rauten gestohlen hat; setz' ihn jetzt in den Maststall, dann wollen wir ihn schlachten und unsre Freunde bitten.« Dazu war die Tochter sogleich bereit, und sie setzte ihn in den Maststall, und da blieb er nun acht Tage lang und bekam das beste Essen und Trinken, das er sich wünschen konnte, und so viel er nur wollte. »Geh nun hin,« sagte der Troll zu seiner Tochter, als die acht Tage um waren: »und schneide ihn in den kleinen Finger, dann werden wir sehen, ob er schon fett ist.« Die Tochter ging sogleich hin. »Halt mal Deinen kleinen Finger her!« sagte sie; aber Aschenbrödel steckte den Lattenspiker heraus, und in den schnitt sie. »Ach nein, er ist noch hart wie Eisen,« sagte die Trolltochter, als sie wieder zu ihrem Vater kam: »noch können wir ihn nicht schlachten.« Nach acht Tagen ging es wieder eben so, nur daß Aschenbrödel jetzt den Birkenpflock heraussteckte. »Ein wenig besser ist er,« sagte die Tochter, als sie wieder zu dem Trollen kam: »aber noch war er hart zu kauen, wie Holz.« Acht Tage darnach sagte der Troll wieder, die Tochter solle hingehen und zusehen, ob er jetzt nicht fett genug wäre. »Halt mal Deinen kleinen Finger her!« sagte die Tochter, als sie zum Maststall gekommen war. Nun hielt Aschenbrödel den Lichtstumpf hin. »Jetzt geht's an,« sagte sie. »Haha!« sagte der Troll: »so reise ich fort, um Gäste zu bitten; inmittlerweile sollst Du ihn schlachten und die eine Hälfte braten und die andre Hälfte kochen.« Als der Troll nun gereis't war, fing die Tochter an, ein großes langes Messer zu schleifen. »Sollst Du mich damit schlachten?« fragte der Bursch. »Ja, Du,« sagte die Trolltochter. »Aber es ist nicht scharf,« sagte der Bursch: »ich muß es Dir nur schleifen, damit Du mich desto leichter ums Leben bringen kannst.« Sie gab ihm nun das Messer, und er fing an zu schleifen und zu wetzen. »Laß es mich jetzt an Deiner Haarflechte probiren,« sagte der Bursch: »ich glaube, es wird nun gut sein.« Das erlaubte sie ihm denn auch; aber sowie Aschenbrödel die Haarflechte ergriff, bog er ihr den Kopf zurück und schnitt ihr den Hals ab — und kochte dann die eine Hälfte und bratete die andere und trug es auf den Tisch. Darauf zog er die Kleider der Trolldirne an und setzte sich in die Ecke hin. Als der Troll mit den Gästen nach Hause kam, bat er die Tochter — denn er glaubte, daß sie es wäre — sie möchte doch auch kommen und mitessen. »Nein,« antwortete der Bursch: »ich will kein Essen haben, ich bin so betrübt.« — »Du weißt ja Rath dafür,« sagte der Troll: »nimm die goldne Harfe und spiele darauf.« — »Ja, wo ist die nun?« sagte der Bursch wieder. »Du weißt es ja wohl, Du hast sie ja zuletzt gebraucht; dort hangt sie ja über der Thür,« sagte der Troll. Der Bursch ließ sich das nicht zweimal sagen; er nahm die Harfe und ging damit aus und ein und spielte; aber wie er so im besten Spielen war, schob er plötzlich den Backtrog hinaus ins Wasser und ruderte damit fort, daß es nur so saus'te. Nach einer Weile däuchte es dem Trollen, die Tochter bliebe gar zu lange draußen, und er ging hin, sich nach ihr umzusehen; da sah er aber den Burschen in dem Trog weit weg auf dem Wasser. »Bist Du es, der mir meine sieben silbernen Enten genommen hat?« rief der Troll. »Ja!« sagte der Bursch. »Du bist es, der mir auch meine Decke mit den silbernen und goldnen Rauten genommen hat?« — »Ja!« sagte der Bursch. »Hast Du mir nun auch meine goldne Harfe genommen, Du?« schrie der Troll. »Ja, das hab' ich,« sagte der Bursch. »Hab' ich Dich denn nicht gleichwohl verzehrt?« — »Nein, das war Deine Tochter, die Du verzehrtest,« antwortete der Bursch. Als der Troll das hörte, ward er so arg, daß er barst. Da ruderte Aschenbrödel zurück und nahm einen ganzen Haufen Gold und Silber mit, so viel der Trog nur tragen konnte, und als er nun damit zurückkehrte, und auch die goldne Harfe mitbrachte, bekam er die Prinzessinn und das halbe Reich, so wie der König es ihm versprochen hatte. Seinen Brüdern aber that er immer wohl; denn er glaubte, sie hätten nur sein Bestes gewollt mit Dem, was sie gesagt hatten.
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2.

Der Gertrudsvogel.


Als unser Herr Christus und St. Petrus noch auf Erden einherwandelten, kamen sie einmal zu einer Frau, die bei ihrem Backtrog stand und den Teig knetete. Sie hieß Gertrud und hatte eine rothe Mütze auf. Da beide den Tag über schon weit gegangen und daher sehr hungrig waren, bat der Herr Christus die Frau um ein Stückchen Brod. Ja, das sollte er haben, sagte sie und nahm ein Stückchen Teig und knetete es aus; aber da ward es so groß, daß es den ganzen Backtrog anfüllte. Nein, das war allzu groß, das konnte er nicht bekommen. Sie nahm nun ein kleineres Stück; aber als sie es ausgeknetet hatte, war es ebenfalls zu groß geworden; das konnte er auch nicht bekommen. Das dritte Mal nahm sie ein ganz ganz kleines Stück; aber auch das Mal ward es wieder zu groß. »Ja, so kann ich Euch Nichts geben,« sagte Gertrud: »Ihr müsst daher ohne Mundschmack wieder fortgehen; denn das Brod wird ja immer zu groß.« Da ereiferte sich der Herr Christus und sprach: »Weil Du ein so schlechtes Herz hast und mir nicht einmal ein Stückchen Brod gönnst, so sollst Du zur Strafe dafür in einen Vogel verwandelt werden und Deine Nahrung zwischen Holz und Rinde suchen, und nicht öfter zu trinken sollst Du haben, als wenn es regnet.« Und kaum hatte er die Worte gesprochen, so war sie zum Gertrudsvogel verwandelt und flog oben zum Schornstein hinaus; und noch den heutigen Tag sieht man sie herumfliegen mit einer rothen Mütze auf dem Kopf und schwarz über dem ganzen Leib; denn der Ruß im Schornstin hatte sie geschwärzt. Sie hackt und bickt beständig in den Bäumen nach Essen und piept immer, wenn es regnen will; denn sie ist beständig durstig.
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3.

Der Vogel Dam.


Es war einmal ein König, der hatte zwölf Töchter, und von denen hielt er so viel, daß er sie nie aus den Augen ließ; aber jeden Mittag, wenn der König schlief, gingen die Prinzessinnen spazieren. Einstmals, da der König wieder seinen Mittagsschlummer hielt, und die Prinzessinnen, wie gewöhnlich, spazieren gegangen waren, geschah es, daß sie nicht zurückkehrten, sondern ausblieben. Da entstand große Sorge und Betrübniß im ganzen Land; aber am betrübtesten von Allen war der König. Er sandte Boten aus durch sein ganzes Reich und in viele fremde Länder und ließ sie nachsuchen und ihnen nachläuten mit allen Glocken über das ganze Land; aber die Prinzessinnen waren fort und blieben fort, so daß Niemand wußte, wo sie gestoben oder geflogen waren. Da konnte man denn wohl begreifen, daß sie von irgend einem Trollen entführt sein mußten. Das Gerücht hievon verbreitete sich bald von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, und endlich gelangte es auch zu einem König, der in einem Lande weit weit weg wohnte und zwölf Söhne hatte. Als die Söhne von den zwölf Königstöchtern erzählen hörten, baten sie ihren Vater um Erlaubniß, reisen zu dürfen, um die Prinzessinnen aufzusuchen. Der alte König aber wollte anfangs Nichts davon wissen; denn er fürchtete, daß er dann die Söhne niemals wiedersehen möchte; aber die Prinzen fielen ihm zu Füßen und baten ihn so lange, bis er endlich nachgab und sie reisen ließ. Er rüstete nun ein Schiff für sie aus und setzte zum Steuermann über dasselbe den Ritter Röd, der zu Wasser wohl erfahren war. Lange Zeit segelten sie nun umher und forschten in allen Ländern, wohin sie kamen, nach den Prinzessinnen; aber sie entdeckten keine Spur von ihnen. Es fehlten jetzt nur noch wenig Tage, so hatten sie schon sieben Jahre gesegelt. Da entstand eines Tages ein heftiger Sturm und ein solches Unwetter, daß sie glaubten, sie würden nimmer wieder an's Land kommen, und Alle mußten in einem fort arbeiten, so daß kein Schlaf in ihre Augen kam, so lange das böse Wetter anhielt. Aber am dritten Tage legte sich der Sturm, und es ward auf einmal ganz still. Alle waren nun von der Arbeit und dem schlimmen Wetter so müde geworden, daß sie sogleich einschliefen; nur der jüngste Prinz hatte keine Ruhe und konnte nicht schlafen. Während er nun auf dem Verdeck hin- und herging, trieb das Schiff an eine Insel, und auf der Insel lief ein Hündchen am Ufer und bellte und winselte gegen das Schiff an, als ob es hinauf wolle. Der Königssohn pfiff und lockte das Hündchen an sich; aber es konnte nicht zu ihm kommen und bellte und winselte nur um so mehr. Dem Prinzen däuchte, es wäre Sünde, das Hündchen dort umkommen zu lassen, das, wie er glaubte, von einem Schiff sei, welches in dem Sturm untergegangen wäre; aber er wußte nicht, wie er ihm helfen sollte, da er sich nicht im Stande glaubte, das Boot allein auszusetzen; denn alle die Andern schliefen, und er wollte sie nicht gern wegen des Hundes aufwecken. Aber das Wetter war so klar und so still; da dachte er denn, du musst es doch versuchen, ob du das Thierchen nicht retten kannst, und er machte sich daran, das Boot auszusetzen, und es ging damit leichter, als er geglaubt hatte. Er ruderte nun ans Land und ging auf das Hündchen zu; aber so oft er es greifen wollte, sprang es zur Seite und lockte so den Prinzen immer weiter fort, bis dieser, eh' er es gewahr ward, sich in einem großen prächtigen Schlosse befand. Da verwandelte sich das Hündchen plötzlich in eine schöne Prinzessinn. Auf der Bank aber saß ein Mann, so groß und so häßlich, daß der Prinz darüber erschrak. »Du brauchst nicht bange zu sein,« sagte der Mann; — aber der Prinz erschrak noch mehr, als er seine Stimme hörte — »ich weiß wohl, Was Du willst: Es sind Eurer zwölf Prinzen, die suchen die zwölf verloren gegangenen Prinzessinnen. Ich weiß aber wohl, wo sie sind: sie sind bei meinem Herrn; da sitzen sie jede auf ihrem Stuhl und läusen ihn, denn er hat zwölf Köpfe. Nun seid Ihr sieben Jahre lang umhergesegelt, aber Ihr werdet noch sieben Jahre dazu segeln müssen, eh' Ihr sie findet. Was Dich betrifft, so könntest Du gern hier bleiben, und meine Tochter bekommen; aber Du musst erst meinen Herrn tödten, denn er ist sehr strenge gegen uns, so daß wir seiner längst überdrüssig sind; und wenn er todt ist, werde ich König an seiner Stelle. Versuche aber nun, ob Du dieses Schwert zu schwingen vermagst,« sagte der Troll. Der Königssohn wollte ein rostiges Schwert ergreifen, das an der Wand hing, aber er konnte es nicht vom Fleck rühren. »So musst Du Dir einen Schluck aus dieser Flasche nehmen,« sagte der Troll. Als der Prinz das gethan hatte, konnte er das Schwert von der Wand nehmen, und als er noch einen Schluck genommen hatte, konnte er es aufheben; und als er endlich noch einen Schluck genommen hatte, konnte er es mit solcher Leichtigkeit schwingen, als wär' es sein eignes gewesen. »Wenn Du nun wieder an Bord kommst,« sagte der Trollprinz: »so musst Du das Schwert in Deine Koje verstecken, damit der Ritter Röd es nicht zu sehen bekommt. Er ist zwar nicht im Stande, es zu schwingen, aber er wird Dich dann hassen und Dir nach dem Leben trachten. Wenn sieben Jahre um sind, bis auf drei Tage,« sagte er weiter: »dann wird es wieder eben so gehen, wie jetzt; es kommt dann wieder ein gewaltiges Unwetter mit Sturm und Hagel über Euch, und wenn das vorüber ist, werden Alle müde sein und sich in ihre Kojen legen; Du aber musst dann das Schwert nehmen und ans Land rudern; alsdann gelangst Du zu einem Schloß, wo lauter Wölfe, Bären und Löwen als Schildwachen stehen; aber Du brauchst Dich nicht vor ihnen zu fürchten, denn sie werden Dir alle zu Füßen kriechen. Sobald Du darauf in das Schloß gekommen bist, siehst Du den Räuber in einem prächtig geschmückten Zimmer sitzen; aber zwölf Köpfe hat er, und die Prinzessinnen sitzen jede auf ihrem Stuhl und läusen ihn, und da kannst Du Dir wohl vorstellen, daß ihnen solche Arbeit nicht gefällt. Darnach musst Du Dich beeilen und ihm den einen Kopf nach dem andern abhauen, eh' er aufwacht; denn geschieht das, so frisst er Dich lebendig auf.« Der Königssohn ging nun mit dem Schwert wieder an Bord und vergaß nicht, Was ihm der Troll gesagt hatte. Die Andern lagen noch alle und schliefen; er aber versteckte das Schwert in seine Koje, so daß weder der Ritter Röd, noch sonst Jemand von ihnen es bemerkte. Nun fing es wieder an zu wehen; da weckte der Prinz die Andern auf und sagte, es könne nicht angehen, daß sie noch länger da lägen und schliefen, da sie jetzt einen so guten Wind bekommen hätten. Niemand von ihnen hatte bemerkt, daß er weg gewesen war. — Die Zeit verstrich allmählich, und der Prinz dachte immer an das Abenteuer, das er bestehen sollte, zweifelte aber an dem glücklichen Ausgang. Als nun die sieben Jahre bis auf drei Tage um waren, geschah es ganz, wie der Trollprinz ihm gesagt hatte. Es entstand ein heftiges Unwetter, das hielt drei Tage lang an, und als das vorüber war, wurden Alle von der anstrengenden Arbeit müde und legten sich in ihren Kojen schlafen. Der jüngste Königssohn aber ruderte ans Land, und die Wachen krochen ihm zu Füßen, und so gelangte er ins Schloß. In einem der Zimmer saß der König und schlief, wie ihm der Trollprinz gesagt hatte, und die zwölf Prinzessinnen saßen jede auf ihrem Stuhl und läus'ten jede ihren Kopf. Der Königssohn winkte den Prinzessinnen, daß sie sich entfernen sollten; sie zeigten aber auf den Trollen und winkten ihm wieder, er solle schnell fortgehen; der Königssohn aber gab ihnen durch Mienen und Geberden zu verstehen, daß er sie befreien wolle; endlich merkten sie denn seine Absicht und entfernten sich leise eine nach der andern. Nun sprang der Prinz schnell hinzu und hieb dem Trollkönig die zwölf Köpfe ab, so daß das Blut wie ein großer Bach strömte. Als der Troll getödtet war, ruderte der Prinz wieder nach dem Schiff zurück und verbarg das Schwert. Es däuchte ihm, daß er jetzt Genug gethan hätte, und da er den Leichnam nicht allein aus dem Schloß schaffen konnte, so wollte er daß die Andern ihm helfen sollten. Er weckte sie daher auf und sagte, es wäre eine Schande, daß sie da liegen sollten und schlafen, während er die Prinzessinnen gefunden und sie von dem Trollen befrei't hätte. Da lachten die Andern über ihn und sagten, er hätte wohl eben so gut geschlafen, als sie alle, und es hätte ihm bloß geträumt, daß er ein solcher Held wäre; denn wenn irgend Jemand die Prinzessinnen sollte befrei't haben, so wäre es doch weit wahrscheinlicher, daß einer von ihnen es gethan hätte, als er. Aber der Königssohn erzählte ihnen, wie sich Alles zugetragen hatte, und als sie ans Land fuhren und zuerst den Blutbach erblickten und darnach das Schloß und den Trollen und die zwölf Köpfe und die Prinzessinnen, da sahen sie wohl, daß er die Wahrheit geredet, und halfen ihm nun die Köpfe und den ganzen Rumpf in die See werfen. Alle waren nun fröhlich und guter Dinge; aber Keiner war froher, als die Prinzessinnen, die nun nicht mehr nöthig hatten, den ganzen Tag über da zu sitzen und den Trollen zu läusen. Von all dem Gold und Silber und dem kostbaren Geräth, das sich im Schlosse vorfand, nahmen sie so viel mit, als das Schiff nur tragen konnte. Darauf gingen Alle an Bord, die Prinzen mit sammt den Prinzessinnen. Als sie aber eine Strecke weit in die See hinausgekommen waren, sagten die Prinzessinnen, daß sie in der Freude ihre goldnen Kronen vergessen hätten, die in einem Schrank auf dem Schlosse lägen, und die wollten sie doch gern mithaben. Da nun Keiner von den Übrigen sie holen wollte, sagte der jüngste Königssohn: »Hab' ich schon so Viel gewagt, so kann ich auch wohl die goldnen Kronen holen, wenn Ihr nur die Segel herablassen und so lange warten wollt, bis ich wiederkomme.« Ja, das wollten sie, sie wollten die Segel herablassen und so lange warten, bis er wiederkäme. Als aber der Prinz so weit von dem Schiff ab war, daß sie ihn nicht mehr sehen konnten, sagte der Ritter Röd, der gern selber der Vornehmste sein und die jüngste Prinzessinn haben wollte, es könne nichts nützen, daß sie da still lägen und auf ihn warteten; denn das könnten sie sich wohl denken, daß er doch nicht zurückkehren würde; sie wüßten überdies, sagte er, daß der König ihm (dem Ritter Röd) die Vollmacht gegeben hätte, zu segeln wann und wohin er wolle, und nun sollten sie sagen, er sei es, der die Prinzessinnen befrei't hätte, und wenn Jemand anders sagte, dann solle er das Leben verlieren. Die Prinzen wagten nicht, anders zu thun, als der Ritter Röd ihnen befohlen hatte, und sie segelten nun weiter. Inmittlerweile ruderte der jüngste Königssohn ans Land und ging auf das Schloß, wo er auch sogleich den Schrank mit den goldnen Kronen fand; und er müh'te sich so lange ab, bis es ihm gelang, denselben ins Boot zu schaffen. Als er nun aber in die See hinausgekommen war, konnte er nirgends das Schiff erblicken. Er sah sich um nach allen Seiten; aber von dem Schiff war keine Spur zu sehen; da merkte er denn wohl, wie es zugegangen war. Ihnen nachzurudern konnte nichts helfen, und er mußte daher umkehren und ans Land zurückrudern. Er fürchtete sich zwar, die Nacht allein im Schlosse zuzubringen, aber es war nun einmal kein andrer Rath. Er faßte daher Muth, verschloß alle Thüren und Pforten und legte sich in einem Zimmer, wo ein aufgemachtes Bett stand, schlafen. Aber angst und bange war er, und er ward es noch mehr, als es nach einer Weile anfing, oben im Dach und in den Wänden zu knacken und zu krachen, als ob das ganze Schloß bersten wollte. Auf einmal raschelte es neben sein Bett nieder wie ein ganzes Fuder Heu. Bald darauf aber hörte er eine Stimme, die rief ihm zu, er solle sich nicht fürchten.

»Der Vogel Dam ist hier,
»Wo Du nicht kannst, da hilft er Dir,«

sprach die Stimme, und dann sagte sie: »Wenn Du morgen aufwachst, musst Du sogleich aufs Stabur1 gehen und vier Tonnen Rocken für mich zum Frühstück holen; die muß ich erst zu Leibe haben, denn sonst kann ich Nichts für Dich thun.« — Als der Prinz am andern Morgen aufwachte, erblickte er neben seinem Bett einen entsetzlich großen Vogel, der hatte eine Feder im Nacken, die war so groß wie eine halb ausgewachsene Tanne. Der Königssohn ging nun aufs Stabur und holte vier Tonnen Rocken für den Vogel Dam. Als dieser sein Frühstück zu Leibe hatte, sagte er zu dem Königssohn, er solle ihm nun den Schrank mit den goldnen Kronen an der einen Seite um den Hals hängen und so viel Gold und Silber nehmen, daß es den Schrank aufwöge, und es ihm an der andern Seite um den Hals hängen, und dann solle er sich ihm auf den Rücken setzen und sich nur gut an der Nackenfeder fest halten. Als der Prinz das gethan hatte, ging es in einem Sausen fort durch die Luft, und es dauerte nicht lange, so waren sie über dem Schiff. Der Königssohn wollte gern an Bord, um das Schwert zu holen, das, wie der Troll ihm gesagt hatte, die Andern nicht sehen dürften; aber der Vogel Dam sagte zu ihm, das könne nicht angehen; »der Ritter Röd wird es nicht zu sehen bekommen,« sagte er: »kommst Du aber an Bord, so trachtet er Dir nach dem Leben, denn er will gern die jüngste Prinzessinn haben; aber für die kannst Du ganz ruhig sein, denn sie legt jede Nacht ein bloßes Schwert vor sich ins Bett.« — Endlich und zuletzt kamen sie bei dem Trollprinzen an, und da wurde nun der Königssohn so wohl aufgenommen, daß es gar nicht zu sagen ist. Der Trollprinz wußte nicht, Was er ihm all für Gutes erzeigen sollte, weil er seinen Herrn getödtet und ihn zum König gemacht hatte. Er hätte dem Königssohn gern seine Tochter und das halbe Reich dazu gegeben; aber der war nun einmal so in die jüngste von den Prinzessinnen verliebt, daß er nur an sie dachte und durchaus wieder fort wollte. Aber der Troll bat ihn, sich noch eine Zeitlang zu gedulden und sagte, daß die Andern beinahe noch sieben Jahre zu segeln hätten, ehe sie wieder nach Hause kämen. Von der Prinzessinn sagte der Troll Dasselbe, was der Vogel Dam gesagt hatte: »Für die,« sagte er: »kannst Du ganz ruhig sein; denn sie legt immer ein bloßes Schwert vor sich ins Bett. Und wenn Du mir nicht glauben willst, so kannst Du an Bord gehen, wenn sie hier vorüber segeln, und Dich selbst davon überzeugen und mir dann zugleich das Schwert wiederbringen; denn wiederhaben muß ich es durchaus.« — Als nun nach sieben Jahren die Andern dort vorübersegelten, war es vorher wieder ein heftiges Unwetter gewesen; und wie der Königssohn an Bord kam, schliefen sie alle insgesammt, und jede der Prinzessinnen schlief bei ihrem Prinzen, nur die jüngste Prinzessinn schlief allein mit einem bloßen Schwert vor sich im Bette, und auf dem Boden vor dem Bette schlief der Ritter Röd. Der Königssohn nahm nun das Schwert und ruderte wieder ans Land, ohne daß Jemand es bemerkt hatte, daß er an Bord gewesen war. — Der Prinz war indeß beständig unruhig und wollte immer wieder fort; und als endlich die sieben Jahre zu Ende gingen und nur noch drei Wochen fehlten, sagte der Trollkönig zu ihm: »Nun kannst Du Dich zur Reise fertig machen, da Du doch einmal nicht bei uns bleiben willst. Ich will Dir ein eisernes Boot leihen, das geht von selbst auf dem Wasser, wenn Du bloß sagst: »Boot, geh vorwärts!« Im Boote liegt ein eiserner Kloben, und den Kloben sollst Du ein wenig in die Höhe heben, wenn Du das Schiff grade vor Dir siehst; dann bekommen sie einen solchen Fahrwind, daß sie vergessen, sich nach Dir umzusehen. Wenn Du dann neben das Schiff kommst, sollst Du den Kloben noch einmal aufheben; alsdann wird es ein solcher Sturm, daß sie wohl etwas Anders zu thun bekommen, als nach Dir auszugucken. Und wenn Du an ihnen nun vorbei gekommen bist, sollst Du den Kloben zum dritten Mal in die Höhe heben; aber Du musst ihn immer wieder vorsichtig niederlegen, denn sonst wird es ein solches Wetter, daß sowohl Du, als die Andern darin umkommen. Sobald Du nachher ans Land gekommen bist brauchst Du Dich nicht weiter um das Boot zu bekümmern, sondern schieb' es dann nur umgewendet in die See und sprich: »Boot, geh wieder nach Hause!« — Als der Prinz nun abreis'te, bekam er so viel Gold und Silber und andre Kostbarkeiten und Kleider und Leinenzeug mit, das die Prinzessinn während der langen Zeit, die er auf der Insel zugebracht, für ihn genäh't hatte, so daß er viel reicher war, als irgend einer von seinen Brüdern. Kaum hatte er sich nun ins Boot gesetzt und gesagt: »Boot, geh vorwärts!« so ging das Boot fort. Und als er das Schiff grade vor sich erblickte, hob er den Kloben ein wenig in die Höhe; da bekamen sie einen solchen Fahrwind, daß sie vergaßen, sich nach ihm umzusehen. Als er darauf neben das Schiff kam, hob er den Kloben noch einmal in die Höhe, und da ward es ein solcher Sturm und ein solches Wetter, daß der weiße Schaum rund um das Schiff stand, und die Wellen über das Verdeck hinschlugen, so daß sie etwas Anders zu thun bekamen, als nach ihm auszugucken. Und als er ihnen nun vorbeigekommen war, hob er den Kloben zum dritten Mal auf, und da bekamen sie so reichlich zu thun, daß sie gar keine Zeit hatten, sich nach ihm umzusehen. Er kam weit, weit früher ans Land, als das Schiff; und als er all seine Sachen aus dem Boot geschafft hatte, kehrte er es um, schob es hinaus in die See und sprach: »Boot, geh wieder nach Hause!« und da ging das Boot wieder fort.

Der Königssohn kleidete sich nun als ein Seemann aus — ob der Trollkönig ihm das gerathen hatte, oder ob es seine eigne Erfindung war, das muß ich ungesagt lassen — und begab sich nach einer armseligen Hütte zu einer alten Frau, zu der sagte er, er wäre ein armer Matrose, der auf einem Schiff gewesen, das untergegangen sei, und er wäre der Einzige von der ganzen Mannschaft, der sich gerettet hätte, und dann bat er sie, ihn nebst den Sachen, die er geborgen, bei sich beherbergen zu wollen. »Ach, Gott helf mir!« sagte die Frau: »ich kann Niemandem Herberge geben. Ihr seht wohl, wie es hier beschaffen ist; ich habe nicht einmal Betten, worauf ich selbst liegen kann, viel weniger noch für Andre.« Ja, das wäre einerlei, sagte der Seemann, wenn er bloß ein Dach über dem Kopf hätte, dann wär's ihm ganz gleich, wie er läge. Ein Obdach konnte sie ihm denn nicht versagen, wenn er so damit fürlieb nehmen wolle, wie sie's hätte. — Am Abend brachte der Seemann seine Sachen in die Hütte, und sogleich begann die Alte, die gern etwas Neues zu erzählen haben wollte, zu fragen, was für Einer er wäre, wo er wohl her sei, wo er gewesen, und wo er hin wolle, was das für Sachen wären, die er bei sich hätte, in welchem Geschäft er reis'te, und ob er Nichts von den zwölf Prinzessinnen gehört hätte, die vor vielen lieben Jahren verschwunden wären, und dergleichen mehr, so daß es zu weitläufig sein würde, es alles zu erzählen. Der Seemann sagte aber, er befände sich so schlecht und hätte solche Kopfschmerzen von dem entsetzlichen Wetter, das da regiert hätte, daß er sich auf keine Sache recht besinnen könne; sie möchte ihm nur noch einige Tage Ruhe lassen, bis er sich von der schweren Arbeit, die er während des schlimmen Wetters gehabt, etwas erholt hätte, dann solle sie nachher schon Alles erfahren. Den andern Tag begann die Frau aufs neue zu fragen und ihn auszuforschen; aber der Seemann hatte noch solche Kopfschmerzen von dem bösen Wetter, daß er sich auf keine Sache recht besinnen konnte; doch ließ er so von ungefähr ein Wort fallen, als wüßte er wohl Etwas von den Prinzessinnen. Sogleich lief die Alte mit dieser Neuigkeit fort zu all den Klatschweibern rund umher, und nun kam die eine nach der andern gerannt und fragte nach den Prinzessinnen, ob der Seemann sie gesehen hätte, ob sie bald kämen, ob sie schon auf der Reise wären u. s. w. Der Seemann aber hatte immer noch Kopfschmerzen von dem bösen Wetter, so daß er nicht auf Alles Bescheid geben konnte; aber so Viel sagte er doch, daß wenn die Prinzessinnen nicht Schiffbruch gelitten hätten in dem heftigen Sturm, sie dann wohl um vierzehn Tage, oder vielleicht noch etwas früher, ankommen würden; er könne aber, fügte er hinzu: nicht mit Gewißheit sagen, ob sie noch am Leben wären; er hätte sie zwar gesehen, sie könnten aber wohl nachher in dem bösen Wetter umgekommen sein. Sogleich lief eins von den Klatschweibern zu dem Königsschloß und erzählte dort, es wäre in der Hütte bei der und der Frau ein Seemann, der hätte die Prinzessinnen gesehen und hätte gesagt, sie würden wohl um vierzehn Tage, oder vielleicht noch etwas früher, ankommen. Als der König das hörte, schickte er sogleich zu dem Seemann und ließ ihm sagen, daß er zu ihm kommen und ihm die Sache selbst berichten solle. Der Matrose sagte: »Ich habe nicht solche Kleider und sehe nicht so aus, daß ich zu dem König gehen kann.« Der Bote aber sagte, er solle nur kommen, der König wolle und müsse ihn sprechen, einerlei, er möge nun so, oder so aussehen; denn es wäre noch Niemand da gewesen, der Nachrichten von den Prinzessinnen hätte bringen können. Da ging denn der Seemann endlich zu dem Schloß und trat zu dem König ein; der fragte ihn, ob es wahr wäre, daß er die Prinzessinnen gesehen. »Ja, das ist wahr,« sagte der Seemann: »aber ich weiß nicht, ob sie noch am Leben sind; denn als ich sie sah, war es ein solches Unwetter, daß wir Schiffbruch litten. Wenn sie aber damals nicht untergegangen sind, so mögen sie wohl um vierzehn Tage, oder vielleicht noch etwas früher, kommen.«

Als der König das hörte, war er beinahe außer sich vor Freuden; und als es nun um die Zeit war, daß die Prinzessinnen, wie der Seemann gesagt hatte, kommen sollten, zog der König ihnen in vollem Staat entgegen an den Strand — und groß war die Freude über das ganze Land, als endlich das Schiff mit den Prinzessinnen und den Prinzen und dem Ritter Röd ankam. Die elf ältesten Prinzessinnen waren fröhlich und guter Dinge; aber die jüngste, die den Ritter Röd haben sollte, welcher sagte, daß er es sei, der die Prinzessinnen befrei't und den Trollen getödtet hätte, war immer traurig und weinte unaufhörlich. Dem König wollte das gar nicht behagen, und er fragte sie daher, warum sie nicht auch so munter und vergnügt wäre, wie die andern Prinzessinnen; sie hätte doch, meinte er, keine Ursache, betrübt zu sein, da sie nun von dem Trollen befrei't wäre und einen Mann zum Gemahl haben solle, wie der Ritter Röd sei. Sie durfte aber Nichts sagen; denn der Ritter Röd hatte ja gedroh't, wenn Einer erzählen würde, wie sich Alles wirklich zugetragen, dann wolle er ihn ums Leben bringen.

Als nun die Prinzessinnen eines Tages an ihrem Brautputz näh'ten, trat plötzlich Jemand in einer großen Matrosenjacke und mit einem Tabuletkasten auf dem Rücken zu ihnen ein und fragte, ob sie ihm keine Schmucksachen zu ihrer Hochzeit abkaufen wollten, er hätte, sagte er, außerordentlich seltne und kostbare Dinge von Gold und auch von Silber. — Ja, das könnte wohl möglich sein. Sie sahen die Waaren an, und sie sahen ihn an; denn es wollte sie bedünken, sie sollten ihn und auch manche von den Sachen kennen, die er hatte. »Der so viel prächtige Schmucksachen hat,« sagte endlich die jüngste Prinzessinn: »könnte auch wohl Etwas haben, das noch prächtiger und für uns noch passender wäre.« — »Das wäre wohl möglich,« sagte der Krämer. Aber die andern tuschten sie und sagten, sie möchte doch bedenken, womit der Ritter Röd ihnen gedroht hätte. — Einige Zeit darnach, als die Prinzessinnen eines Tages vor dem Fenster saßen, kam der Königssohn wieder in seiner großen Matrosenjacke und trug auf dem Rücken den Schrank mit den goldnen Kronen. Als er in den Schloßsaal eingetreten war, machte er den Schrank auf, und da nun die Prinzessinnen jede ihre goldne Krone wieder erkannten, sagte die jüngste: »Mir däucht, es ist billig und recht, daß Der, welcher uns befrei't hat, den Lohn erhalte, der ihm zukommt, und das ist nicht der Ritter Röd, sondern Der, welcher unsre goldnen Kronen brachte — der hat uns befrei't.« Da warf der Königssohn die Matrosenjacke ab und stand nun da weit stattlicher, als alle die Andern; und darauf ließ der König den Ritter Röd sogleich ums Leben bringen. Nun war die Freude erst recht groß im Königsschloß; und jeder Prinz nahm seine Prinzessinn und hielt mit ihr Hochzeit, so daß man sich in zwölf Königreichen davon zu erzählen hatte.
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4.

Die wortschlaue Prinzessinn.


Es war einmal ein König, der hatte eine Tochter, die war so schlau und spitzfindig in Worten, daß Keiner sie zum Schweigen bringen konnte. Da setzte der König einen Preis aus und ließ bekannt machen, daß Der, welcher es könnte, die Prinzessinn und das halbe Reich haben sollte. Drei Brüder, welche dies hörten, beschlossen, ihr Glück zu versuchen. Zuerst machten sich die beiden ältesten auf, die sich am klügsten dünkten; aber sie konnten Nichts bei der Prinzessinn ausrichten und mußten noch dazu mit blauer Haut wieder abziehen. Darnach machte sich Aschenbrödel auch auf. Als er eine Strecke weit gegangen war, fand er am Wege ein Weidenreis, das nahm er auf. Eine Strecke weiter fand er eine Scherbe von einer alten Schüssel, die nahm er auch auf. Als er noch etwas weiter gegangen war, fand er einen todten Staar, und etwas darnach ein krummes Bockshorn; ein wenig später fand er noch ein krummes Bockshorn, und als er über das Feld zum Königshof gehen wollte, wo Dünger ausgestreu't lag, fand er darunter eine ausgegangene Schuhsohle. Alle diese Dinge nahm er mit sich zum Königsschloß, und damit trat er zu der Prinzessinn ein. »Guten Tag!« sagte er. »Guten Tag!« sagte sie und verzog das Gesicht. »Kann ich nicht meinen Staar gebraten kriegen?« fragte er. »Ich bin bange, er birstet,« antwortete die Prinzessinn. »O, das hat keine Noth, ich binde dieses Weidenreis um,« sagte der Bursch und nahm das Reis hervor. »Aber das Fett läuft heraus,« sagte die Prinzessinn. »Ich halte dies unter,« sagte der Bursch und zeigte ihr die Scherbe von der Schüssel. »Du machst es mir so krumm, Du!« sagte die Prinzessinn. »Ich mach es nicht krumm, sondern es ist schon krumm,« sagte der Bursch und nahm das eine Horn hervor. »Nein, etwas Ähnliches hab' ich noch mein Lebtag nicht gesehn!« rief die Prinzessinn. »Hier siehst Du was Ähnliches,« sagte der Bursch und nahm das andre Bockshorn hervor. »Ich glaube, Du bist ausgegangen, um mich zum Schweigen zu bringen,« sagte die Prinzessinn. »Nein, ich bin nicht ausgegangen, aber diese hier ist ausgegangen,« sagte der Bursch und zeigte ihr die Schuhsohle. Hierauf wußte die Prinzessinn Nichts mehr zu antworten. »Nun bist Du mein!« sagte der Bursch, und darauf erhielt er die Prinzessinn und das halbe Königreich.
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5.

Der reiche Peter Krämer.


Es war einmal ein Mann, den nannten die Leute den reichen Peter Krämer, weil er ehedem mit Kram im Lande umhergefahren und viel Geld verdient hatte, so daß er nun ein reicher Mann geworden war. Dieser reiche Peter Krämer hatte eine Tochter, die hielt er so kostbar, daß er alle Freier, die sich um sie bewarben, abwies; denn es schien ihm kein Einziger gut genug für sie. Weil es nun so mit allen ging, kamen endlich gar keine mehr, und da nun die Jahre herankamen, befürchtete Peter, das Mädchen möchte zuletzt sitzen bleiben. »Es wundert mich,« sprach er zu seiner Frau: »daß gar keine Freier mehr zu unsrer Tochter kommen, die doch so reich ist. Das müßte sonderbar zugehen, wenn sich nicht Einer finden sollte, der sie haben wollte; denn Geld hat sie, und noch mehr bekommt sie. Ich glaube, ich muß mal zu den Sternguckern reisen und die fragen, Wen sie haben soll; denn es kommt hier ja Niemand.« — »Wie können die Sterngucker Dir das sagen?« fragte die Frau. »O, das lesen sie alles in den Sternen,« sagte der reiche Peter. Er steckte nun viel Geld zu sich und reis'te damit zu den Sternguckern und bat sie, ihm doch den Gefallen zu thun und nach den Sternen zu gucken, und ihm dann zu sagen, was seine Tochter für einen Mann haben solle. Die Sterngucker sahen nach den Sternen, aber sie sagten, daß sie Nichts sehen könnten. Peter bat sie, noch besser zuzusehen und es ihm ja zu sagen; er wolle ihnen auch viel Geld geben, sagte er. Die Sterngucker sahen nun besser zu, und darauf sagten sie, seine Tochter solle das Müllerkind heirathen, das eben jetzt in der Mühle, die gleich unten bei des reichen Peters Gehöft läge, zur Welt gekommen sei. Peter meinte, es wäre gar zu ungereimt, daß seine Tochter Einen zum Mann haben solle, der eben erst zur Welt gekommen sei, und noch dazu einen so geringen Mann. Das sagte er auch zu seiner Frau und fügte hinzu: »Es müßte sonderbar zugehen, wenn sie mir den Buben nicht verkaufen wollten; alsdann aber wollen wir ihn schon quitt werden.« — »Ja, das mein' ich auch,« sagte die Frau: »es sind ja nur arme Leute.« Peter Krämer ging nun zur Mühle und fragte die Müllerfrau, ob sie ihm nicht ihren Sohn verkaufen wolle, sie sollte viel Geld dafür haben. Nein, das wollte sie durchaus nicht. »Ich weiß nicht, warum Du das nicht willst,« sagte Peter Krämer: »es ist ja nur die liebe Armuth bei Euch zu Hause, und der Bube, denk' ich, wird sie Euch nicht leichter machen.« Aber sie hielt so viel von dem Jungen, daß sie ihn nicht missen wollte. Als darauf der Müller eintrat, sagte Peter zu ihm dasselbe und versprach ihm sechshundert Thaler für den Buben; dafür könnten sie sich ein Gehöft kaufen, sagte er, und hätten dann nicht mehr nöthig, für die Leute zu mahlen und zu hungern, wenn sie kein Mahlwasser hätten. Das däuchte dem Müller nicht übel, und er sprach mit seiner Frau darüber, und endlich bekam denn der reiche Peter den Buben. Die Mutter weinte zwar und geberdete sich übel; aber Peter tröstete sie und sagte, daß er gut für den Burschen sorgen würde; nur mußten sie ihm versprechen, daß sie niemals nach ihm fragen wollten; denn er wollte ihn weit weg in andre Länder schicken, damit er fremde Sprachen lerne, sagte er. — Als Peter mit dem Buben nach Hause kam, ließ er einen Kasten verfertigen, den verklebte er inwendig mit Pech, legte den Müllerbuben hinein, dreh'te den Schlüssel einmal herum und schob dann den Kasten hinaus in den Fluß, so daß er mit dem Strom davon trieb. Nun bin ich ihn quitt, dachte Peter Krämer. Als aber der Kasten auf dem Fluß weit weggetrieben war, kam er zuletzt zu dem Wasser einer andern Mühle und gerieth ins Mühlrad, so daß die Mühle davon stehen blieb. Der Müller ging hin und wollte zusehen, Was die Ursache davon war, und da fand er denn den Kasten und trug ihn ins Haus. »Ich bin doch neugierig, Was wohl in diesem Kasten sein mag,« sagte er zu seiner Frau: »der ist ins Mühlrad gerathen und hat mir die Mühle gestopft.« — »Nun, das können wir bald erfahren,« sagte die Frau: »der Schlüssel steckt ja drin; mach nur das Schloß auf.« Als sie nun den Kasten öffneten, lag darin das schönste Kind, das man nur sehen kann, und sie waren beide so erfreu't darüber und wollten den Buben als ihr eigenes Kind behalten; denn selbst hatten sie keine Kinder und waren auch schon in den Jahren, daß sie keine mehr bekommen konnten. — Als nun eine Zeit vergangen war, wunderte Peter Krämer sich wieder, daß sich gar keine Freier zu seiner Tochter einfinden wollten, die doch so reich wäre und so viel Geld hätte. Aber es zeigte sich keiner; und Peter reis'te darum wieder zu den Sternguckern und bot ihnen Geld über Geld, wenn sie ihm bloß sagen wollten, Wen seine Tochter zum Mann haben solle. »Wir haben es Dir ja gesagt, daß sie den Müllerbuben haben soll,« antworteten die Sterngucker. »Ja, das ist recht gut,« sagte Peter Krämer: »aber der ist nun gestorben, und wenn Ihr mir darum sagen wolltet, Wen meine Tochter jetzt zum Mann haben soll, dann wollt' ich Euch gern zweihundert Thaler geben.« Die Sterngucker sahen nun wieder nach den Sternen; aber da wurden sie ganz zornig und sprachen: »Sie soll gleichwohl den Müllerbuben haben, den Du in den Fluß ausgesetzt hast, um ihn zu tödten; denn er lebt noch und ist in der Mühle da und da.« Peter Krämer gab ihnen die zweihundert Thaler und dachte jetzt nur darauf, wie er es anfangen solle, um den Müllerbuben los zu werden. Das Erste, was er that, als er nach Hause kam, war, daß er zur Mühle ging. Da war der Bube schon so groß, daß er eingesegnet war und in der Mühle mithalf, und ein schmucker Bursch war er geworden. »Könntest Du mir nicht den Burschen überlassen, Du?« sagte Peter Krämer zu dem Müller. »Nein,« antwortete der Müller: »ich habe ihn als mein eignes Kind erzogen, und er ist so gut in die Art geschlagen, daß ich nun Hülfe und Nutzen von ihm in der Mühle haben kann; denn selbst werd' ich nach gerade schon alt und hinfällig.« — »Ja, so geht's mir auch,« sagte Peter Krämer: »und darum wollt' ich gern Einen haben, den ich zum Handel anlehren könnte. Wenn Du ihn mir daher überlassen willst, so will ich Dir gern sechshundert Thaler geben; dann kannst Du Dir ein Gehöft kaufen und in Deinen alten Tagen ruhig und in Frieden leben.« Ja, als der Müller das hörte, gab er dem Peter Krämer gleich den Burschen. Nun reis'ten beide weit umher mit Kram und handelten, bis sie einst zu einem Gehöft kamen, das dicht an einem Walde lag. Von hier aus schickte Peter den Burschen nach Hause mit einem Brief an seine Frau — denn wenn man den Richtweg durch den Wald ging, war es nicht so gar weit — und sagte zu ihm, er solle seine Frau von ihm grüßen und ihr sagen, sie solle so bald als möglich thun, Was in dem Brief stände. In dem Brief aber stand, sie solle augenblicklich einen Holzstoß errichten und den Müllerburschen darauf verbrennen, und wenn sie das nicht thäte, so solle sie selbst lebendig verbrannt werden. Mit diesem Brief ging der Bursch fort durch den Wald. Gegen Abend kam er zu einem Hause tief im Dickicht, und da ging er hinein; doch in dem Hause war kein Mensch zu sehen noch zu hören. In einem der Zimmer aber fand der Bursch ein aufgemachtes Bett, und auf das legte er sich quer hin. Den Brief hatte er an seinen Hut befestigt, und der Hut lag auf seinem Gesicht. Als die Räuber nach Hause kamen — denn das Haus gehörte zwölf Räubern — und den Burschen auf dem Bett liegen sahen, waren sie neugierig, was das für Einer wäre, und einer von ihnen nahm den Brief, brach ihn auf und las ihn. »Ha! ha!« sagte er: »der ist von dem Peter Krämer; aber nun wollen wir ihm einen Streich spielen; denn es wäre doch Jammer und Schade, wenn das alte Weibsstück einen so jungen wackern Burschen ums Leben bringen sollte.« Sie schrieben nun einen andern Brief an Peter Krämers Frau und befestigten ihn an den Hut, während der Bursch schlief, und in dem Brief hatten sie geschrieben, die Frau solle den Müllerburschen mit der Tochter verheirathen, und es solle augenblicklich die Hochzeit gehalten werden, und dann solle sie ihnen Pferde und Vieh und Hausgeräth geben und sie völlig auf dem Gehöft einrichten, das unten am Berg läge, und sofern das nicht alles geschehen sei, wenn Peter Krämer nach Hause käme, sollt's ihr schlecht gehen. Den andern Tag reis'te der Bursch weiter, und als er auf Peters Gehöft ankam, übergab er der Frau den Brief und sagte, er solle grüßen von Peter Krämer, ihrem Mann, und sagen, sie möchte doch so bald als möglich thun, Was in dem Brief stände. Als die Frau den Brief gelesen hatte, sagte sie zu dem Burschen: »Du musst Dich gut aufgeführt haben, daß Peter mir einen solchen Brief schreibt; denn als er abreis'te, war er so böse auf Dich, daß er nicht wußte, wie er Dich ums Leben bringen wollte.« Sie machte nun sogleich Anstalten zur Hochzeit und gab den jungen Leuten Pferde und Vieh und allerlei Hausgeräth und richtete sie vollständig ein auf dem Gehöft unten am Berge.

Nicht lange darnach kam Peter Krämer zu Hause, und das Erste, wonach er sich bei seiner Frau erkundigte, war, ob sie gethan hätte, wie er in dem Brief geschrieben. »Ja, das, däucht mir, war auch nett!« sagte sie: »aber ich durfte ja nicht anders.« Nun fragte Peter, wo denn die Tochter sei. »Ih nun, das kannst Du Dir ja wohl denken,« sagte die Frau: »sie ist bei ihm auf dem Gehöft unten am Berg, so wie in dem Brief stand.« Als Peter nun die ganze Geschichte erfuhr und den Brief sah, ward er so zornig, daß er aus der Haut fahren wollte, und lief sogleich auf das Gehöft zu den jungen Leuten. »Meine Tochter hast Du zwar bekommen,« sagte er zu dem Müllerburschen: »aber wenn Du denkst, sie zu behalten, so musst Du erst zu dem Drachen von Dübenfahrt und mir drei Federn aus seinem Schwanz holen;« — denn Wer die hatte, konnte Alles bekommen, was er sich wünschte. — »Wo soll ich aber den Drachen von Dübenfahrt finden?« fragte der Schwiegersohn. »Das weiß ich nicht,« sagte Peter Krämer: »das mag Deine Sorge sein.«

Der Bursch begab sich nun getrost auf den Weg, und als er eine Zeitlang gewandert hatte, kam er zu einem Königsschloß. »Hier will ich einkehren und vorfragen,« dachte er: »denn solche Leute wissen besser in der Welt Bescheid, als Unsereiner, vielleicht daß ich hier den Weg erfahre.« Gedacht, gethan. Der König fragte ihn, wo er her sei, und in welchem Geschäft er reise. »O, ich soll zu dem Drachen von Dübenfahrt und drei Federn aus seinem Schwanz holen,« sagte der Bursch: »wenn ich ihn bloß finden könnte.« — »Dazu will viel Glück,« sagte der König: »denn ich habe noch nie gehört, daß Einer von solcher Reise zurückgekehrt ist. Wenn Du ihn aber antriffst, so kannst Du ihn von mir grüßen und ihn fragen, woher es kommt, daß ich niemals reines Wasser in meinem Brunnen habe; ich hab' ihn schon so oft säubern und ausmuddern lassen, aber nie kann ich reines Wasser bekommen.« — »Ja, ich will ihn wohl fragen,« sagte der Bursch. Auf dem Schloß ließ er's sich wohl sein und bekam noch dazu Lebensmittel und Geld auf den Weg.

Gegen Abend kam der Bursch zu einem andern Königsschloß. Als er in die Küche eintrat, kam der König heraus und fragte ihn, wo er her sei, und in welchem Geschäft er reise. »O, ich soll zu dem Drachen von Dübenfahrt und drei Federn aus seinem Schwanz holen,« sagte der Bursch. »Dazu will viel Glück,« sagte der König: »denn ich habe noch nie gehört, daß Einer von daher zurückgekehrt ist. Wenn Du aber zu ihm kommst, so kannst Du ihn von mir grüßen und ihn fragen, wo wohl meine Tochter wäre, die vor vielen Jahren verschwunden ist; ich habe nach ihr suchen und forschen lassen überall, aber ich habe nie das Geringste von ihr erfahren können.« — »Ich will ihn wohl fragen,« sagte der Bursch. Auf dem Königsschloß lebte er gut und wohl, und als er den andern Tag fortging, bekam er sowohl Essen, als Geld mit auf den Weg. Gegen Abend kam er wieder zu einem Königsschloß.

Hier kam die Königinn heraus in die Küche und fragte ihn, wo er her sei, und in welchem Geschäft er reise. »Ich soll zu dem Drachen von Dübenfahrt und drei Federn aus seinem Schwanz holen,« sagte der Bursch. »Dazu will viel Glück,« sagte die Königinn: »denn ich habe noch nie gehört, daß Einer des Weges zurückgekehrt ist. Aber solltest Du ihn antreffen, so kannst Du ihn von mir grüßen und ihn fragen, wo ich wohl meine goldnen Schlüssel wiederfinden soll, die ich verloren habe.« — »Ich will ihn wohl fragen,« sagte der Bursch. Am andern Morgen wanderte er weiter, und als er ein Ende gegangen war, kam er zu einem großen breiten Fluß. Während er nun da stand und nicht wußte, wie er hinüber kommen sollte, kam ein alter krummgebückter Mann auf ihn zu und fragte ihn, wo er hin wolle. »Ich soll zu dem Drachen von Dübenfahrt,« sagte der Bursch: »wenn ich bloß wüßte, wo er zu finden ist.« — »Das kann ich Dir sagen,« sprach der Mann: »denn ich setze hier Alle über, die zu ihm wollen. Er wohnt hier grade gegenüber; wenn Du dort oben auf dem Hügel bist, kannst Du schon sein Schloß sehen; — und wenn Du ihn dann zu sprechen bekommst, so kannst Du ihn von meinetwegen fragen, wie lange ich hier noch übersetzen soll.« — »Ich will ihn wohl fragen,« sagte der Bursch. Der Mann nahm ihn nun auf den Rücken und trug ihn über den Fluß; und als der Bursch auf den Hügel gekommen war, sah er das Schloß grade vor sich und ging hinein. Als die Prinzessinn, die nur allein zu Hause war, ihn erblickte, rief sie: »Ist es möglich! darf denn eine Christenseele hieherkommen? Das ist noch nicht geschehen, so lange ich hier bin. Für Dich ist es aber am besten,« sagte sie: »Du siehst zu, daß Du wieder fortkommst so schnell wie möglich; denn kommt der Drache zu Hause, so riecht er Dich und frisst Dich sogleich auf, und mich machst Du dann dazu unglücklich.« — »Nein,« sagte der Bursch: »ich kann nicht eher fort, als bis ich drei Federn aus seinem Schwanz habe.« — »Die bekommst Du nun und nimmermehr,« sagte die Prinzessinn.

Aber der Bursch wollte nicht fort; er wollte warten, bis der Drache nach Hause käme und wollte die Federn aus seinem Schwanz und Antwort auf seine Fragen haben. »Ja, wenn Du denn durchaus darauf bestehst, so will ich zusehen, ob ich Dir helfen kann,« sagte die Prinzessinn: »Versuche aber, ob Du das Schwert aufheben kannst, das dort an der Wand hangt.« Nein, der Bursch konnt's nicht vom Fleck rühren. »So musst Du einen Trunk aus dieser Flasche thun,« sagte die Prinzessinn. Als nun der Bursch einen Trunk aus der Flasche gethan hatte, konnte er das Schwert ein wenig bewegen. »Du musst noch einen Trunk thun,« sagte die Prinzessinn: »und dann erzähle mir ausführlich Deinen Auftrag.« Der Bursch that nun noch einen Trunk, und darauf erzählte er der Prinzessinn: ein König hätte ihn gebeten, den Drachen zu fragen, woher es käme, daß er kein reines Wasser in seinen Brunnen bekommen könne; für einen andern solle er fragen, wo seine Tochter geblieben sei, die vor vielen Jahren verschwunden wäre; und für eine Königinn solle er den Drachen fragen, wo ihre goldnen Schlüssel geblieben wären; und endlich solle er für den Fährmann fragen, wie lange der noch die Leute über den Fluß setzen müsse. — Als der Bursch nun das Schwert anfaßte, konnte er es aufheben; und als er endlich noch einen Trunk gethan hatte, konnte er es schwingen. Gegen Abend sagte die Prinzessinn: »Nun kommt der Drache bald nach Hause, und damit er Dich nicht sogleich umbringt, musst Du unter das Bett kriechen, und da musst Du ganz still liegen, daß er Dich nicht bemerkt. Wenn wir uns dann niedergelegt haben, werde ich ihn ausfragen. Du musst aber gut zuhören und genau darauf Acht geben, Was er antwortet; und unter dem Bett musst Du liegen bleiben, bis Alles still ist, und der Drache eingeschlafen; alsdann aber kriech leise hervor und nimm das Schwert zu Dir. Und wenn er darnach aufsteht, musst Du mit einem Hieb ihm den Kopf abschlagen und im selben Augenblick die drei Federn aus seinem Schwanz rupfen; denn sonst reißt er sie sich selbst aus, damit sie keinem Andern zu gute kommen sollen.«

Als nun der Bursch unters Bett gekrochen war, kam auch schon der Drache an. »Es riecht hier so nach Menschenfleisch!« rief er, als er eintrat »O, es kam ein Rabe geflogen mit einem Menschenknochen im Schnabel und setzte sich auf das Dach,« sagte die Prinzessinn: »das muß es sein, was Du riechst.« — »Na so!« sagte der Drache. Nun trug die Prinzessinn das Essen auf, und als sie gegessen hatten, legten sie sich zu Bett. Aber als sie eine Weile gelegen hatten, schlief die Prinzessinn so unruhig, und plötzlich wachte sie auf. »Au! au!« schrie sie. »Was fehlt Dir?« fragte der Drache. »O, ich schlafe so unruhig,« sagte die Prinzessinn: »und dann hatte ich einen so wunderlichen Traum.« — »Was träumte Dir denn?« fragte der Drache. »O, mir träumte, es käme ein König hieher und fragte Dich, wie er es anfangen solle, um reines Wasser in seinen Brunnen zu bekommen,« sagte die Prinzessinn. »Ach, das könnte er wohl von selbst wissen,« sagte der Drache: »wenn er bloß den Brunnen umgräbt und den alten verfaulten Stock herausnimmt, der auf dem Boden liegt, dann wird er schon reines Wasser bekommen. Aber liege jetzt ruhig und träume nicht wieder!«

Als die Prinzessinn eine Weile still gelegen hatte, ward sie wieder unruhig, warf sich im Bette hin und her und wachte endlich wieder auf. »Au! au!« — »Was ist denn nun wieder los?« rief der Drache. »O, ich schlafe so unruhig, und dann hatte ich einen so wunderlichen Traum,« sagte die Prinzessinn. »Das ist doch auch gewaltig mit Deiner Träumerei!« sagte der Drache: »Was hat Dir denn jetzt geträumt?« — »O, mir träumte, es käme ein König hieher und fragte Dich, wo seine Tochter geblieben wäre, die vor vielen Jahren verschwunden sei,« sagte die Prinzessinn. »Das bist Du,« sagte der Drache: »aber Dich bekommt er in seinem Leben nicht mehr zu sehen. Laß mich aber jetzt in Ruhe, bitt' ich Dich, und träume nicht wieder, sonst brech ich Dir die Rippen entzwei.«

Die Prinzessinn hatte nicht lange geschlafen, als sie wieder anfing, unruhig zu werden, und dann aufwachte. »Au! au!« rief sie. »Nun, schon wieder? Was ist denn jetzt wieder los?« rief der Drache und war so wild, daß er beinahe aus der Haut fahren wollte. »O, Du musst nicht böse werden,« sagte die Prinzessinn: »aber ich hatte einen so wunderlichen Traum.« — »Das ist doch auch zum Kukuk mit Deiner Träumerei! Was träumte Dir denn jetzt?« — »O, mir träumte, es käme eine Königinn hieher, die fragte Dich, ob Du ihr nicht sagen könntest, wo sie ihre goldnen Schlüssel wiederfinden solle, die sie verloren hätte.« — »O, sie kann nur zusehen zwischen den Büschen, wo sie lag, damals, wie sie wohl weiß, dann wird sie sie wohl finden,« sagte der Drache: »Aber laß mich nun endlich in Ruhe mit Deinen Träumen!«

Beide schliefen nun eine Weile; aber darnach begann die Prinzessinn wieder unruhig zu werden, und plötzlich wachte sie auf. »Au! au!« — »Ich merke wohl, Du wirst nicht eher ruhig, als bis ich Dir das Genick zerbreche,« sagte der Drache und war so wüthend, daß ihm die Funken aus den Augen sprüh'ten: »Was hast Du denn nun wieder?« — »O, Du musst nicht böse auf mich sein,« sagte die Prinzessinn: »ich kann ja nicht dafür; aber ich hatte einen so wunderlichen Traum.« — »Eine solche Träumerei ist mir doch noch nicht vorgekommen,« sagte der Drache: »aber Was träumte Dir denn jetzt?« — »Mir träumte, der Fährmann hier unten am Sund sei gekommen und fragte Dich, wie lange er noch die Leute über den Fluß setzen müsse.« — »Das dumme Vieh! davon könnte er bald befrei't werden,« sagte der Drache: »Wenn Jemand kommt, der hinüber will, so braucht er ihn nur mitten in den Fluß zu werfen und zu sagen: »Setz' nun Du über, bis Du abgelös't wirst!« dann wird er frei. Aber laß mich jetzt in Ruhe mit Deinen Träumen, sonst wird es ein andrer Tanz!«

Die Prinzessinn ließ ihn nun in Frieden schlafen. Aber sobald es still ward, und der Müllerbursch hörte, daß der Drache schnarchte, kroch er hervor und nahm das Schwert von der Wand. Ehe es noch Tag geworden war, stand der Drache auf; aber kaum war er mit beiden Füßen aus dem Bett gekommen, als der Bursch ihm den Kopf abhieb und die drei Federn aus seinem Schwanz riß. Das war eine große Freude. Und der Bursch und die Prinzessinn nahmen so viel Gold und Silber und Geld und andre Kostbarkeiten mit, als sie nur fortschaffen konnten, und als sie zu dem Sund kamen, setzten sie den Fährmann durch Alles, was er für sie hinübertragen mußte, so in Erstaunen und Verwirrung, daß er ganz und gar vergaß, zu fragen, Was der Drache gesagt hätte, bis alles Gepäck und der Bursch und die Prinzessinn dazu hinüber waren. »Es ist wahr,« sagte er, als sie eben fortgehen wollten: »fragtest Du den Drachen, wie ich Dir sagte?« — »Ja,« antwortete der Bursch: »er sagte, wenn Jemand käme und hinüber wolle, so solltest Du ihn nur mitten in den Fluß werfen und sagen: »Setz' nun Du über, bis Du abgelös't wirst!« so würdest Du frei.« — »O, twi!« sagte der Sundmann: »hättest Du mir das früher gesagt, dann hättest Du mich ablösen sollen.«

Als sie zu dem ersten Königsschloß kamen, fragte ihn die Königinn, ob er den Drachen nach ihren goldnen Schlüsseln gefragt hätte. »Ja,« sagte der Bursch und flüsterte ihr ins Ohr: »Er sagte, Du solltest nur zusehen zwischen den Büschen, wo Du lagst, damals, wie Du wohl weißt.« — »Still! still! sag' ja Nichts!« sagte die Königinn und gab dem Burschen hundert Thaler. — Als er zu dem zweiten Königsschloß kam, fragte der König ihn, ob er sich bei dem Drachen nach seiner Tochter erkundigt hätte. »Ja,« sagte der Bursch: »das hab' ich, und hier ist Deine Tochter!« Darüber ward der König so froh, daß er dem Müllerburschen gern die Prinzessinn und das halbe Reich gegeben hätte. Aber da dieser schon eine Frau hatte, gab er ihm zweihundert Thaler und Pferde und Wagen und so viel Gold und Silber, als er nur fortschaffen konnte. — Wie er nun zu dem dritten Königsschloß kam, fragte ihn der König, ob er seinen Auftrag bei dem Drachen ausgerichtet hätte. »Ja,« versetzte der Bursch: »er sagte, Du solltest nur den Brunnen umgraben und den alten verfaulten Stock herausnehmen, der auf dem Boden liegt, dann würdest Du schon reines Wasser bekommen.« Da gab der König ihm dreihundert Thaler. Von hier reis'te der Bursch gradesweges nach Hause, und er war so ausstaffirt mit Gold und mit Silber und so prächtig gekleidet, daß es nur so glitzerte. Als nun der reiche Peter die Federn aus dem Drachenschwanz erhielt, hatte er Nichts weiter gegen die Heirath einzuwenden. Da er aber all den Reichthum sah, den sein Schwiegersohn mitgebracht hatte, fragte er ihn, ob noch mehr da wäre. »Ja,« sagte der: »es sind noch ganze Wagen voll da, und wenn Du nur hinreisen willst, so wirst Du wohl so Viel finden, als Du gebrauchst.« Ja, Peter Krämer wollte gleich hinreisen. Nun sagte ihm sein Schwiegersohn den Weg so genau, daß er nicht nöthig hatte, weiter darnach zu fragen; »aber die Pferde,« sagte er: »lässt Du am besten an dieser Seite des Flusses; denn der Sundmann hilft Dir schon wieder herüber.« Peter reis'te nun fort und nahm einen guten Schnappsack voll Eßwaaren mit und viele Pferde, die ließ er aber an dieser Seite zurück, wie der Bursch ihm gesagt hatte. Als er nun zu dem Fluß kam, nahm ihn der Sundmann auf den Rücken und trug ihn fort bis in die Mitte, da warf er ihn ins Wasser und sprach: »Nun kannst Du hier übersetzen, bis Du abgelös't wirst!« Und wenn Keiner ihn abgelös't hat, so geht der reiche Peter Krämer noch den heutigen Tag da und setzt die Leute über.
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6.

Aschenbrödel, der mit dem Trollen um die
Wette aß.


Es war einmal ein Bauer, der hatte drei Söhne; es ging ihm aber nur dürftig, und er war schon alt und schwach, und die Söhne wollten nicht recht an die Arbeit. Zu dem Gehöft gehörte ein großer schöner Wald, und in dem, wollte der Vater, sollten die Burschen Holz hauen, damit sie Etwas von der Schuld abbezahlten.

Endlich brachte er sie denn auch auf den Trab, und der älteste Sohn sollte zuerst ins Holz. Als er nun in den Wald gekommen war und anfing, eine alte borkige Tanne umzuhauen, trat plötzlich ein ungeheurer Troll auf ihn zu. »Wenn Du in meinem Wald hauest, so tödte ich Dich,« sagte der Troll. Als der Bursch das hörte, warf er die Axt weg und lief, was er nur konnte, wieder nach Hause. Er kam ganz athemlos an und erzählte, Was ihm begegnet war. Aber der Vater sagte, er wäre ein Hasenherz; die Trollen hätten ihn niemals am Hauen gehindert, als er noch jung gewesen, meinte er.

Den andern Tag sollte der zweite Sohn in den Wald; aber dem gings justement eben so. Als er ein paar Hiebe gethan hatte, trat der Troll auf ihn zu und sprach; »Wenn Du in meinem Wald hauest, so tödte ich Dich.« Der Bursch wagte kaum, ihn anzusehen, warf die Axt weg und machte sich auf die Beine, eben so, wie der Bruder. Als er nach Hause kam, meinte der Vater wieder, da er noch jung gewesen, hätten die Trollen ihn niemals gehindert.

Den dritten Tag wollte Aschenbrödel sich aufmachen. »Ja, Du,« sagten die beiden ältesten; »Du sollst wohl Was ausrichten, der Du nie hinter dem Ofen hervorgekommen bist.« Aschenbrödel antwortete Nichts, sondern bat nur um einen guten Sack voll Lebensmittel. Die Mutter hatte kein Fleisch und hängte daher den Kessel über's Feuer, um einiges Gemüse für ihn zu kochen; das that er in seinen Schnappsack, und damit machte er sich auf. Als er in den Wald gekommen war und eine Zeitlang gehauen hatte, kam ebenfalls der Troll auf ihn zu und sprach: »Wenn Du in meinem Wald hauest, so tödte ich Dich.« Der Bursch aber, nicht faul, nahm sogleich einen Käse aus seinem Schnappsack und drückte ihn, daß der Saft herausspritzte. »Hältst Du nicht gleich Dein großes Maul,« sagte er zu dem Trollen: »so werd' ich Dich drücken, wie ich das Wasser aus diesem Stein drücke.« — »Nein, Freund, verschone mich!« sagte der Troll: »ich will Dir auch hauen helfen.« Ja, wenn's so gemeint sei, wollte ihm denn der Bursch auch Nichts thun; und der Troll hau'te darauf brav zu, so daß sie an dem Tage viele Klafter umhau'ten. Gegen Abend sagte der Troll: »Nun kannst Du mit mir nach meiner Wohnung kommen, denn das ist näher, als nach Deinem Hause.« Ja, dem Burschen war das recht. Als sie nun in dem Hause des Trollen ankamen, wollte dieser Feuer auf dem Herd anmachen, und der Bursch sollte Wasser zum Grützkessel holen. Aber da standen zwei eiserne Zuber, so groß und so schwer, daß der Bursch sie nicht einmal von der Stelle bewegen konnte; er sagte aber: »Es ist nicht werth, mit diesen kleinen Bütten zu plirren; ich will lieber hingehen und den ganzen Brunnen holen.« — »Nein, Freund,« sagte der Troll: »ich kann meinen Brunnen nicht entbehren. Mach Du lieber Feuer an, dann will ich hingehen und Wasser holen.«

Als der Troll mit dem Wasser zurückkam, kochten sie einen tüchtigen Kessel voll Grütze. »Willst Du, wie ich,« sagte der Bursch: »so wollen wir um die Wette essen.« — »Ja, laß uns das!« sagte der Troll; denn er dachte, hierin würde er es wohl mit dem Burschen aufnehmen können. Als sie sich aber zu Tische setzten, nahm der Bursch seinen Schnappsack und band ihn sich, ohne daß der Troll es bemerkte, vorn um den Leib, und nun schüttete er mehr in den Schnappsack, als er aufaß. Als der Sack voll war, zog er sein Taschenmesser hervor und machte einen Schlitz in seinen Bauch, es war aber der Schnappsack, in den er schnitt. Der Troll sah ihn an, aber sagte Nichts. Als sie eine gute Zeit gegessen hatten, legte der Troll den Löffel nieder. »Nein, nun kann ich nicht mehr!« sagte er. »Du musst essen,« sagte der Bursch: »ich bin noch nicht einmal halb satt. Mach es, wie ich, und schneide ein Loch in Deinen Bauch, dann kannst Du so Viel essen, als Du willst.« — »Ja, aber das thut wohl gewaltig weh,« sagte der Troll. »O, es ist nicht der Rede werth,« versetzte der Bursch. Da nahm der Troll sein Messer und schnitt sich ein großes Loch in den Bauch, und als er das gethan hatte, fiel er todt zur Erde nieder. Der Bursch aber nahm nun all das Gold und Silber, das er im Berge vorfand, und damit ging er nach Hause; und nun konnte er wohl Etwas von der Schuld abbezahlen.
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7.

Von dem Burschen,
der zu dem Nordwind ging und das Mehl zurückforderte.


Es war einmal eine alte Frau, die hatte einen Sohn, und da sie schon sehr elend und gebrechlich war und nicht mehr recht fortkonnte, sollte der Bursch für sie aufs Stabur2 gehen und Mehl holen. Der Bursch ging auch hin; als er aber wieder die Treppe hinunterstieg, kam der Nordwind gestoben, nahm ihm das Mehl weg und fuhr damit durch die Luft. Der Bursch ging noch einmal aufs Stabur; als er aber die Treppe hinunterstieg, kam der Nordwind abermals gestoben und nahm ihm das Mehl weg, und eben so geschah es auch das dritte Mal. Das verdroß den Burschen, und er meinte, es wäre Unrecht, daß der Nordwind ihm so mitspielen sollte, und er gedachte daher, ihn aufzusuchen und sein Mehl zurückzufordern.

Er machte sich nun auf; aber der Weg war lang, und er ging und ging. Und endlich kam er zum Nordwind. »Guten Tag!« sagte der Bursch. »Guten Tag!« sagte der Nordwind, und seine Stimme war so grob: »Was willst Du?« — »O,« sagte der Bursch: »ich wollte Dich bitten, mir das Mehl wiederzugeben, das Du mir auf der Staburstreppe nahmst; denn Wenig haben wir nur, und wenn Du uns das Bischen, das wir haben, noch dazu nimmst, so wird's nichts Anders, als Hungerpfotensaugen.« — »Ich habe kein Mehl,« sagte der Nordwind: »aber weil es Dir so dürftig geht, will ich Dir ein Tuch geben, das schafft Dir Alles, was Du Dir nur zu essen wünschest, wenn Du bloß sagst: 'Tuch, deck dich mit allerlei köstlichen Speisen!'«

Damit war der Bursch sehr wohl zufrieden. Weil aber der Weg so lang war, daß er nicht in einem Tage nach Hause kommen konnte, kehrte er bei einem Gastwirth an der Landstraße ein. Als nun die Gäste, die schon vor ihm gekommen waren, zu Abend essen wollten, breitete der Bursch sein Tuch auf einem Tisch aus, der in der Ecke stand, und sprach dann: 'Tuch, deck dich mit allerlei köstlichen Speisen!' Kaum hatte er das gesagt, so that das Tuch seine Schuldigkeit. Da meinten Alle, besonders die Wirthsfrau, das wäre ein gar herrliches Tuch. Wie es nun Nacht geworden war, und Alle lagen und schliefen, schlich sich die Wirthsfrau herbei und stipitzte das Tuch und legte dann ein andres an die Stelle, das eben so aussah, wie jenes, aber das konnte nicht einmal mit trocknem Brod aufdecken.

Als der Bursch am Morgen erwachte, nahm er sein Tuch und ging damit fort, und an diesem Tage kam er nach Hause zu seiner Mutter. »Nun,« sagte er: »bin ich beim Nordwind gewesen; das ist ein recht schicklicher Mann, denn er hat mir dieses Tuch gegeben, und wenn ich bloß sage: 'Tuch, deck dich mit allerlei köstlichen Speisen!' so bekomme ich Alles, was ich mir nur an Essen wünsche.« — »Ja, das mag wahr sein,« sagte die Mutter: »aber ich glaub' es nicht, eh' ich es sehe.« Sogleich stellte der Bursch einen Tisch hin, legte das Tuch darauf und sprach: »Tuch, deck' dich mit allerlei köstlichen Speisen!« Aber das Tuch deckte sich nicht einmal mit einem Stück Brod.

»Es ist kein andrer Rath, ich muß wieder zum Nordwind,« sagte der Bursch und machte sich auf den Weg. »Guten Tag!« sagte er, als er beim Nordwind ankam. »Guten Tag!« sagte der Nordwind: »Was willst Du?« — »Ich wollte gern Ersatz für's Mehl haben, das Du mir nahmst,« sagte der Bursch: »denn das Tuch, das Du mir gegeben hast, taugt nichts.« — »Ich habe kein Mehl,« sagte der Nordwind: »aber da hast Du einen Bock, der macht lauter Goldducaten, wenn Du bloß sagst: 'Bock, mach Gold!'« Damit war der Bursch wohl zufrieden; weil er aber so weit nach Hause hatte, daß er an einem Tage nicht hinkommen konnte, nahm er wieder Nachtherberge bei dem Gastwirth. Eh' er aber Etwas zu essen verlangte, probirte er seinen Bock, um zu sehen, ob es auch wahr sei, was der Nordwind ihm gesagt hatte; die Sache verhielt sich aber wirklich so. Als der Gastwirth das Experiment sah, meinte er, das wäre ein prächtiges Thier; und wie der Bursch eingeschlafen war, holte er sich den Bock und setzte einen andern an die Stelle, der machte aber keine Goldducaten.

Am andern Morgen ging der Bursch weiter, und als er nach Hause zu seiner Mutter kam, sagte er: »Der Nordwind ist dennoch ein guter Mann; er hat mir jetzt einen Bock gegeben, der macht lauter Goldducaten, wenn ich bloß sage: 'Bock, mach Gold!'« — »Das könnte wahr sein,« sagte die Mutter: »aber es ist wohl nur wieder Schnickschnack, und ich glaub' es nicht, eh' ich es sehe.« — »Bock, mach Gold!« sagte der Bursch; aber es war kein Gold, was der Bock machte.

Da ging der Bursch wieder zum Nordwind und sagte, der Bock tauge nichts, und er wolle Ersatz für's Mehl haben. »Ja, nun hab' ich Dir nichts Anders zu geben,« sagte der Nordwind: »als den alten Stock, der da in der Ecke steht, der hat aber die Eigenschaft, daß, wenn Du sagst: 'Stock, schlag' zu!' er so lange zuschlägt, bis Du wieder sagst: 'Stock, steh' still!'« — Weil nun der Weg nach Hause wieder nicht kurz war, so kehrte der Bursch auch an dem Abend wieder bei dem Gastwirth ein. Da er aber wohl so halbweges begreifen konnte, wie es mit dem Tuch und dem Bock zugegangen war, streckte er sich sogleich auf die Bank hin und fing an zu schnarchen. Der Wirth, der sich wohl denken mochte, daß der Stock zu Etwas tauge, suchte einen andern hervor, der diesem ganz ähnlich war und wollte ihn an die Stelle setzen, denn er glaubte nicht anders, als daß der Bursch schliefe. Wie aber der Gastwirth den Stock wegnehmen wollte, rief der Bursch: »Stock, schlag' zu!« Der Stock auf den Gastwirth los, daß dieser über Tisch und Bänke fuhr und rief und bat: »Ach Herrgott! Herrgott! laß bloß den Stock wieder aufhören, sonst schlägt er mich noch todt! Ich will Dir auch gern Dein Tuch und Deinen Bock wiedergeben.« Als es dem Burschen schien, daß der Gastwirth wohl Genug hätte, rief er: »Stock, steh' still!« Er nahm nun sein Tuch und steckte es in die Tasche, band dem Bock eine Schnur um die Hörner und nahm den Stock in die Hand, und fort ging er mit Allem, bis er nach Hause zu seiner Mutter kam; und nun hatte er guten Ersatz für's Mehl bekommen.
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8.

Die Jungfrau Maria als Gevatterinn.


Weit, weit von hier in einem großen Wald wohnten ein Paar arme Leute. Die Frau kam ins Kindbett und gebar ein allerliebstes Töchterchen; aber da die Leute so arm waren, wußten sie nicht, wie sie das Kind getauft bekommen sollten. Da mußte der Mann sich aufmachen und zusehen, ob er nicht Gevattern bekommen könne, die für ihn das Taufgeld bezahlten. Er ging den ganzen Tag von Einem zum Andern, aber Gevatter wollte Niemand sein. Gegen Abend, als er nach Hause ging, begegnete ihm eine sehr schöne Frau, die hatte so prächtige Kleider an und sah so gutmüthig und freundlich aus und erbot sich, das Kind zur Taufe zu schaffen, wenn sie es nachher behalten solle. Der Mann antwortete, er müßte erst seine Frau fragen. Aber als er nach Hause kam und ihr die Sache vorstellte, sagte sie platt aus nein. Am andern Tage ging der Mann wieder aus; aber Gevattern wollten sie Alle nicht sein, wenn sie selbst das Taufgeld bezahlen sollten, und wie viel der Mann sie auch bitten mochte, so half doch Alles nichts. Als er am Abend nach Hause ging, begegnete ihm wieder die schöne Frau, die so sanft aussah, und sie machte ihm wieder dasselbe Anerbieten. Der Mann erzählte nun seiner Frau, Was ihm abermals begegnet war, und die sagte darauf, wenn er auch den nächsten Tag keine Gevattern zu dem Kind bekommen könne, so müßten sie es wohl der Frau überlassen, da sie doch so gut und freundlich aussähe. Der Mann ging nun zum dritten Mal aus, bekam aber auch an diesem Tage keine Gevattern; und als ihm daher am Abend wieder die freundliche Frau begegnete, versprach er ihr das Kind, wenn sie es wollte taufen lassen. Am andern Morgen kam die Frau in die Hütte des Mannes und hatte noch zwei Männer bei sich. Sie nahm nun das Kind und ging damit in die Kirche, und da wurde es getauft; darauf nahm sie es mit sich, und das kleine Mädchen blieb bei ihr mehre Jahre lang, und die Pflegemutter war immer gut und freundlich gegen sie.

Als nun das Mädchen so groß geworden war, daß es schon unterscheiden konnte, und Verstand bekam, wollte die Pflegemutter einmal eine Reise machen. »Du darfst in alle Zimmer gehen, in welche Du willst,« sagte sie zu dem Mädchen: »nur in diese drei Zimmer darfst Du nicht gehen,« und darauf reis'te sie fort. Das Mädchen konnte es aber nicht unterlassen, die Thür zu dem einen Zimmer ein wenig zu öffnen — und wutsch! so flog ein Stern heraus. Als die Pflegemutter nach Hause kam, betrübte es sie sehr, daß der Stern herausgeflogen war, und so unwillig war sie auf ihre Pflegetochter, daß sie ihr droh'te, sie fortjagen zu wollen. Aber das Mädchen bat und weinte so lange, bis sie endlich doch bleiben durfte. — Nach einiger Zeit wollte die Pflegemutter abermals verreisen und verbot nun dem Mädchen, beileibe nicht in die zwei Zimmer zu gehen, in welchen sie noch nicht gewesen sei. Das Mädchen versprach ihr nun auch, sie wolle diesmal gehorsam sein. Als sie aber eine Zeitlang allein gewesen war und sich allerlei Gedanken gemacht hatte, Was doch wohl in dem zweiten Zimmer sein möchte, konnte sie sich nicht enthalten, auch die zweite Thür ein wenig zu öffnen — und wutsch! flog der Mond heraus. Als die Pflegemutter zurückkehrte und sah, daß der Mond herausgeschlüpft war, ward sie wieder sehr betrübt und sagte zu dem Mädchen, nun könne sie sie durchaus nicht länger behalten, sie müsse jetzt fort. Aber da das Mädchen wieder so bitterlich weinte und gar zu artig bat, so durfte sie denn auch noch diesmal bleiben. — Nach einiger Zeit wollte die Pflegemutter abermals verreisen, und da legte sie es dem Mädchen, das nun schon halb erwachsen war, recht ernstlich ans Herz, es ja nicht versuchen zu wollen, in das dritte Zimmer zu gehen, oder auch nur hineinzugucken. Als aber die Pflegemutter eine Zeitlang verreis't war, und das Mädchen so allein ging und sich langweilte, konnte sie es zuletzt nicht mehr aushalten. »Ach,« dachte sie: »wie artig es sein müßte, ein wenig in das dritte Zimmer zu gucken!« Sie dachte zwar erst, sie wollte es doch nicht thun, der Pflegemutter wegen; aber als sie wieder auf den Gedanken zurückkam, konnte sie sich doch nicht länger halten; sie meinte, sie solle und müsse durchaus hineingucken, und da machte sie die Thür ein ganz klein wenig auf — und wutsch! flog die Sonne heraus. Als die Pflegemutter nun zurückkehrte und sah, daß die Sonne hinausgeflogen war, ward sie so herzlich betrübt und sagte zu dem Mädchen, nun könne sie durchaus nicht länger bei ihr bleiben. Die Pflegetochter weinte und bat noch artiger, als zuvor; aber es half Alles nichts. »Nein, ich muß Dich jetzt strafen,« sagte die Pflegemutter: »aber Du sollst die Wahl haben, entweder das allerschönste Frauenzimmer zu werden und nicht sprechen zu können, oder das allerhäßlichste und sprechen zu können; aber weg von hier musst Du.« Das Mädchen sagte: »So will ich denn lieber das allerschönste Frauenzimmer werden und nicht sprechen können,« — und das ward sie denn auch; aber von der Zeit an war sie stumm.

Als nun das Mädchen ihre Pflegemutter verlassen hatte und eine Zeitlang fortgewandert war, kam sie in einen großen, großen Wald; aber so weit sie auch ging, so konnte sie doch nie das Ende erreichen. Als es Abend wurde, kletterte sie auf einen hohen Baum, der oberhalb einer Quelle stand, und setzte sich darin zum Schlafen nieder. Nicht weit davon aber lag ein Königsschloß, und aus diesem kam früh am andern Morgen eine Dirne und wollte Wasser zum Thee für den Prinzen aus der Quelle holen. Als nun die Dirne das schöne Gesicht in der Quelle sah, glaubte sie, es wäre ihr eignes; sie warf sogleich den Eimer hin, lief nach Hause, hielt den Nacken steif und sagte: »Bin ich so schön, so bin ich auch wohl zu gut, um Wasser im Eimer zu holen.« Nun sollte eine Andre hin und Wasser holen; aber mit der ging es eben so: sie kam auch zurück und sagte, sie wäre viel zu schön und zu gut, um nach der Quelle zu gehen und Wasser für den Prinzen zu holen. Da ging der Prinz selbst hin; denn er wollte sehen, wie das zusammenhing. Als er nun zu der Quelle kam, erblickte er ebenfalls das Bild, und sogleich sah er nach dem Baum hinauf. Da ward er denn das schöne Mädchen gewahr, das dort in den Zweigen saß. Er schmeichelte sie herunter und nahm sie mit nach Hause und wollte sie durchaus zur Gemahlinn haben, weil sie so schön war. Aber seine Mutter, die noch lebte, machte Einwendungen: »Sie kann nicht sprechen,« sagte sie: »es mag daher wohl ein Trollmensch sein.« Aber der Prinz gab sich nicht eher zufrieden, bis er sie bekam. Als er nun eine Zeitlang mit ihr zusammengelebt hatte, ward sie schwanger, und wie sie gebären sollte, stellte der Prinz eine starke Wache um sie her. Aber in der Geburtsstunde schliefen alle ein; und als sie geboren hatte, kam ihre Pflegemutter, schnitt das Kind in den kleinen Finger und bestrich der Königinn mit dem Blute den Mund und die Hände und sagte: »Nun sollst Du eben so betrübt werden, als ich damals war, wie Du den Stern hattest hinausschlüpfen lassen,« und darauf verschwand sie mit dem Kinde. Als Die, welche der Prinz zur Bewachung hingestellt hatte, die Augen wieder aufschlugen, glaubten sie, die Königinn hätte ihr Kind aufgefressen, und die alte Königinn wollte daher, daß man sie verbrennen solle; aber der Prinz hatte sie so herzlich lieb, und nach vielem Bitten gelang es ihm, sie von der Strafe zu befreien, aber es war nur mit genauer Noth. Als die Königinn zum zweiten Mal ins Wochenbett sollte, wurde eine Wache um sie gestellt, die war doppelt so stark, als die erste. Aber es ging wieder eben so, wie das vorige Mal, nur daß jetzt die Pflegemutter zu ihr sagte: »Nun sollst Du eben so betrübt werden, als ich damals war, wie Du den Mond hattest hinausschlüpfen lassen.« Die Königinn weinte und bat, — denn wenn die Pflegemutter da war, konnte sie sprechen — aber es half Alles nichts. Nun wollte die alte Königinn durchaus, daß sie verbrannt werden sollte; aber der Prinz bat sie auch noch dieses Mal frei. Als die Königinn zum dritten Mal ins Kindbett sollte, ward eine dreidoppelte Wache um sie gestellt; aber es ging wieder ganz so, wie zuvor: die Pflegemutter kam, während die Wache schlief, nahm das Kind, schnitt es in den kleinen Finger und strich der Königinn das Blut um den Mund; nun, sagte sie, solle sie eben so betrübt werden, als sie selbst damals gewesen sei, wie sie die Sonne hatte hinausschlüpfen lassen. Jetzt konnte der Prinz sie auf keine Weise mehr retten, sie mußte und sollte verbrannt werden. Aber grade in dem Augenblick, da man sie auf den Scheiterhaufen brachte, erschien die Pflegemutter mit allen drei Kindern; die beiden ältesten führte sie an der Hand, und das jüngste trug sie auf dem Arm. Sie trat auf die junge Königinn zu und sprach: »Hier sind Deine Kinder, ich gebe sie Dir jetzt zurück. Ich bin die Jungfrau Maria, und so betrübt, als Du nun gewesen bist, so betrübt war ich damals, als Du den Stern, den Mond und die Sonne hattest hinausschlüpfen lassen. Jetzt hast Du für Das, was Du gethan, Deine Strafe erlitten, und von nun an sollst Du wieder sprechen können.« Wie froh da der Prinz und die Prinzessinn waren, das lässt sich wohl denken, aber nicht beschreiben; sie lebten nachher immer glücklich zusammen, und auch des Prinzen Mutter hatte von der Zeit an die junge Königinn recht lieb.
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9.

Die drei Prinzessinnen aus Witenland.


Es war einmal ein Fischer, der wohnte nicht weit vom Schloß und fischte für des Königs Tisch. Eines Tages, als er wieder auf den Fang ausgegangen war, konnte er nicht einen Fisch bekommen; er mochte es anfangen, wie er wollte, und noch so viel fischen und angeln, so hing doch nie eine Gräte am Haken. Als es aber schon spät am Tage war, tauchte ein Kopf aus dem Wasser hervor und sprach: »Willst Du mir Das geben, was Deine Frau unter dem Gürtel trägt, so sollst Du Fische genug haben.« Der Mann sagte gleich Ja; denn er wußte nicht, daß seine Frau schwanger war. Darnach bekam er aber auch Fische den Tag, so viel er nur wollte. Als er am Abend nach Hause kam und erzählte, wie er all die Fische bekommen, fing die Frau an zu jammern und zu weinen, und sagte, Gott möge ihr gnädig sein wegen des Versprechens, das der Mann gethan hätte, denn sie trüge ein Kind unter dem Gürtel. Man sprach bald auf dem Schloß davon, daß die Frau des Fischers immer so betrübt wäre; und als der König das hörte und die Ursache erfuhr, versprach er dem Fischer, er wolle das Kind zu sich nehmen und es zu retten suchen. Die Zeit verstrich, und als die Frau gebären sollte, brachte sie einen Knaben zur Welt, den nahm der König zu sich und erzog ihn wie seinen eignen Sohn. Als der Knabe nun herangewachsen war, bat er den König eines Tages, seinen Vater auf den Fischfang begleiten zu dürfen, er hätte so große Lust zu fischen, sagte er. Der König wollte anfangs nicht, aber weil der Bursch so anhaltend bat, erlaubte er es ihm endlich. Der Sohn begleitete nun seinen Vater auf den Fischfang, und Alles ging den Tag über gut, bis am Abend, da sie wieder ans Land kamen. Da ward der Bursch gewahr, daß er sein Taschentuch im Boot vergessen hatte, und er wollte hingehen und es sich holen. Kaum aber war er ins Boot gekommen, so saus'te dieses mit ihm fort, daß nur das Wasser so schäumte, und wie sehr der Bursch auch rudern und arbeiten mochte, so half ihm doch Alles nichts; das Boot saus'te fort, bis es weit weg an ein weißes Sandufer trieb. Da ging der Bursch ans Land, und wie er eine Strecke gegangen war, begegnete ihm ein alter Mann mit einem weißen Bart; den fragte der Bursch: »Wie heißt dieses Land?« — »Witenland,« antwortete der Mann; darauf fragte er den Burschen, wo er her wäre, und wo er hin wolle. Als dieser es ihm gesagt hatte, sprach der Mann: »Wenn Du diesen Strand entlang gehst, so kommst Du zu drei Prinzessinnen, welche in die Erde gesenkt stehen, so daß nur der Kopf hervorragt. Sobald sie Dich erblicken, wird die erste, welche die älteste ist, wohl rufen und Dich bitten, ihr zu Hülfe zu kommen, und eben so wird es mit der zweiten geschehen; aber zu keiner von diesen beiden sollst Du hingehen; beeile Dich nur, ihnen vorüberzukommen und thue, als ob Du sie gar nicht bemerktest, aber zu der dritten sollst Du hingehen und thun, um Was sie Dich bittet; denn es wird Dein Glück sein.«

Als der Bursch nun zu der ersten von den Prinzessinnen kam, rief diese und bat ihn so flehentlich, er möchte doch zu ihr kommen; aber er ging ihr vorüber, als ob er sie ganz und gar nicht bemerkte, eben so auch der zweiten, aber zu der dritten ging er hin. »Willst Du thun, Was ich Dir sage, so sollst Du haben, Welche von uns Dreien Du willst,« sagte die Prinzessinn. Ja, das wollte der Bursch gern, und nun erzählte sie ihm, daß sie hier von drei Trollen wären versenkt worden; früher aber hätten sie auf dem Schloß gewohnt, das er dort drüben im Walde sehen könne. »Nun musst Du,« sagte sie: »in das Schloß gehen und Dich von den Trollen eine Nacht für Jede von uns peitschen lassen; kannst Du das aushalten, so errettest Du uns.« — Ja, antwortete der Bursch: er wollt's versuchen. — »Wenn Du in das Schloß gehst,« sagte die Prinzessinn weiter: »so stehen da zwei Löwen in der Pforte, aber gehe nur mitten zwischen ihnen hindurch, so thun sie Dir Nichts. Gehe dann grade aus in ein kleines Zimmer, und da lege Dich nieder. Dann kommt der Troll an und schlägt Dich; aber wenn er Dich genug geschlagen hat, so wasche Dich nur mit dem Wasser aus der Flasche, die dort an der Wand hangt, dann wirst Du sogleich wieder gesund, und darnach nimm das Schwert, das neben der Flasche hangt, und tödte damit den Trollen.« Ja, der Bursch that, wie die Prinzessinn ihm gesagt hatte: er ging mitten zwischen den Löwen hindurch, als ob er sie gar nicht beachte, schritt dann grade aus in die kleine Kammer, und da legte er sich nieder. Die erste Nacht kam ein Troll mit drei Köpfen und drei Ruthen und peitschte den Burschen gottsjämmerlich; aber dieser hielt Alles ruhig aus, bis der Troll fertig war; da nahm der Bursch die Flasche und wusch sich damit die Wunden, ergriff dann das Schwert und hau'te dem Trollen den Kopf ab. Als er nun am andern Morgen zu den Prinzessinnen kam, standen diese bis an den Gürtel über der Erde. Die zweite Nacht ging es eben so; aber der Troll, welcher jetzt kam, hatte sechs Köpfe und sechs Ruthen und peitschte ihn noch weit ärger, als der vorige. Als aber der Bursch am Morgen zu den Prinzessinnen kam, standen diese nur noch bis ans Schienbein in der Erde. In der dritten Nacht kam ein Troll, der hatte neun Köpfe und neun Ruthen und schlug und peitschte den Burschen so lange, bis dieser zuletzt ohne Bewusstsein umfiel. Da nahm ihn der Troll und warf ihn gegen die Wand, aber bei der Gelegenheit fiel die Flasche herunter und bespritzte den Burschen über und über, so daß er augenblicklich wieder gesund ward. Er nun nicht faul ergriff das Schwert und hieb damit dem Trollen den Kopf ab; und als er darauf am Morgen zu den Prinzessinnen kam, standen diese mit dem ganzen Leibe über der Erde. Nun heirathete er die jüngste von ihnen und wurde darauf König, und lebte glücklich und zufrieden mit ihr eine lange Zeit.

Da bekam er einmal so große Lust, wieder nach Hause zu reisen und seine Ältern zu besuchen. Das gefiel aber der Königinn, seiner Gemahlinn, gar nicht; weil er aber nun durchaus fort wollte und mußte, sagte sie zu ihm; »Eins musst Du mir jedoch versprechen, daß Du nämlich bloß Das thun willst, um was Dein Vater Dich bittet, aber nicht Das, um was Deine Mutter Dich bittet,« und das versprach er ihr denn auch. Darauf gab sie ihm einen Ring, der hatte die Eigenschaft, daß Der, welcher ihn am Finger trug, zwei Wünsche thun konnte. Er wünschte sich nun nach Hause, und als die Ältern ihn sahen, konnten sie sich nicht genug darüber verwundern, wie stattlich und prächtig er aussah.

Als er nun einige Tage zu Hause gewesen war, wollte seine Mutter, er sollte aufs Schloß gehen und dem König zeigen, was für ein Mann aus ihm geworden sei. Der Vater aber sagte: »Nein, das soll er nicht; denn alsdann können wir nicht länger die Freude haben, ihn bei uns zu sehen.« Aber es half nichts; die Mutter bat und quälte ihn so lange, bis er endlich ging. Als er nun auf's Schloß kam, war er weit stattlicher an Kleidern und in Allem, als der andre König; das war diesem nun gar nicht recht, und er sagte daher: »Ja, aber nun sollst Du meine Gemahlinn sehen; ich glaube nicht, daß Deine so schön ist, wie meine.« — »Gott gäbe, sie stände hier, so solltest Du es sehen!« sagte der junge König, und sogleich stand sie da; aber sie war sehr betrübt und sagte: »Warum hast Du mir nicht gehorcht und nur auf Das gehört, was Dein Vater Dir sagte? Nun muß ich wieder fort, und Du hast keine Wünsche mehr.« Darauf knüpfte sie ihm einen Ring ins Haar, worauf ihr Name stand, und wünschte sich wieder nach Hause.

Da ward der junge König sehr betrübt und dachte an nichts Anders, als wie er nur wieder zu seiner Gemahlinn kommen sollte. »Ich muß sehen, ob ich nicht irgendwo erfahren kann, wo Witenland liegt,« dachte er und begab sich auf den Weg. Als er ein Ende gegangen war, begegnete ihm Einer, der war Herr über alle Thiere im Walde, und sie kamen zu ihm, wenn er nur in sein Horn blies; den fragte der König nach Witenland. »Ich weiß nicht, wo es liegt,« sagte der Mann: »aber ich will meine Thiere fragen.« Darauf blies er sie herbei und fragte, ob nicht Einer von ihnen wüßte, wo Witenland läge; aber das wußte Keiner.

Da gab der Mann ihm ein Paar Schneeschuhe. »Wenn Du die anhast,« sagte er: »kommst Du zu meinem Bruder, der über hundert Meilen weit von hier wohnt; der ist Herr über alle Vögel in der Luft, Du kannst den fragen. Wenn Du aber dort angekommen bist, so kehre die Schuhe nur um, so daß die Spitze nach hier wendet, dann gehn sie von selbst wieder nach Hause.« Als der König nun an Ort und Stelle gekommen war, kehrte er die Schneeschuhe um, wie der Herr über die Thiere ihm gesagt hatte, und darauf gingen sie von selbst wieder nach Hause.

Er fragte nun wieder nach Witenland, und der Mann blies alle Vögel herbei und fragte sie, ob nicht Einer von ihnen wüßte, wo Witenland läge. Nein, das wußte wieder Keiner. Lange nach den andern Vögeln kam auch noch ein alter Adler, der zehn Jahre lang in der Fremde gewesen war, aber der wußte es auch nicht. »Nun,« sagte der Mann: »dann will ich Dir ein Paar Schneeschuhe leihen; wenn Du die anhast, kommst Du zu meinem Bruder, der hundert Meilen weit von hier wohnt; er ist Herr über alle Fische im Meer, Du musst den fragen; vergiß aber nicht, die Schuhe wieder umzukehren, wenn Du dort angekommen bist.« Der König dankte dem Mann und legte die Schuhe an. Als er nun zu Dem gekommen war, der Herr über alle Fische im Meer war, kehrte er die Schuhe wieder um, worauf diese, eben so, wie die andern, wieder nach Hause gingen.

Der König fragte nun wieder nach Witenland. Da blies der Mann alle Fische herbei; aber auch von ihnen wußte Keiner Bescheid. Endlich kam ein alter, alter Hecht; der Mann hatte viele Mühe, ihn herbeizublasen, und als er ihn nach Witenland fragte, antwortete der Hecht: »Ja, da bin ich gut bekannt; denn ich bin da zehn Jahre lang Koch gewesen. Morgen soll ich wieder dahin; denn die Königinn, die ihren Gemahl verloren hat, macht morgen wieder Hochzeit.« — »Wenn es sich so verhält, so will ich Dir einen guten Rath geben,« sagte der Mann: »Hier draußen auf einem Erlenmoor stehn drei Brüder, die haben da schon hundert Jahre gestanden und sich um einen Hut, einen Mantel und ein Paar Stiefeln gebalgt. Wenn Einer die drei Dinge hat, so kann er sich unsichtbar machen und sich so weit weg wünschen, als er will. Du kannst sagen, Du wolltest die Sachen probiren und nachher zwischen ihnen das Urtheil sprechen.« Der König dankte dem Mann und that, wie er ihm gesagt hatte. »Was steht Ihr hier beständig und balgt Euch?« sagte er, als er zu den drei Brüdern gekommen war: »lasst mich die Dinge probiren, dann will ich das Urtheil zwischen Euch sprechen.« Ja, das wollten sie gern. Als er aber den Hut, den Mantel und die Stiefeln bekommen hatte, sagte er: »Wenn wir uns das nächste Mal wiedersehen, sollt Ihr das Urtheil erfahren,« und damit wünschte er sich fort. Als er durch die Luft fuhr, traf er mit dem Nordwind zusammen. »Wo willst Du hin?« fragte ihn der Nordwind. »Nach Witenland,« sagte der König und erzählte ihm, Was ihm begegnet war. »Ja, Du fährst wohl etwas schneller, als ich,« sagte der Nordwind; »ich muß nun in jeden Winkel und wehen und pusten. Wenn Du aber an Ort und Stelle kommst, so stelle Dich nur auf die Treppe neben der Thür hin; dann werde ich gesaus't kommen, als wollte ich das ganze Schloß umwehen. Wenn dann der Prinz, der Deine Gemahlinn haben soll, herauskommt und sehen will, Was es giebt, so faß ihn nur beim Kragen und wirf ihn hinaus; dann will ich schon zusehen, wie ich ihn fortschaffe.« Ja, der König that, wie ihm der Nordwind gesagt hatte: er stellte sich auf die Treppe hin, und als der Nordwind gesaus't und gebraus't kam und einen Griff ins Schloßdach that, so daß es bebte und krachte, ging der Prinz hinaus und wollte sehen, Was es gab. Aber in demselben Augenblick ergriff der König ihn beim Kragen und warf ihn hinaus. Da nahm ihn der Nordwind und fuhr mit ihm davon. Als der König so mit guter Manier den Prinzen quitt geworden war, ging er ins Schloß. Anfangs erkannte die Königinn ihn nicht, weil er durch das lange Wandern und seinen heftigen Kummer so bleich und mager geworden war. Als er ihr aber den Ring zeigte, ward sie herzlich froh; und nun wurde mit großem Jubel erst die rechte Hochzeit gefeiert.
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10.

Es giebt noch mehr solche Weiber.

Es war einmal ein Mann und eine Frau, die wollten säen, aber sie hatten kein Saatkorn und auch kein Geld, sich etwas zu kaufen. Eine einzige Kuh hatten sie, und mit der sollte der Mann in die Stadt gehen und sie verkaufen, damit sie Geld zu Saatkorn bekämen. Als es aber zum Stücke kam, wagte die Frau es nicht, den Mann allein reisen zu lassen, denn sie fürchtete, er möchte das Geld vertrinken. Sie machte sich daher selbst mit der Kuh auf den Weg und nahm auch noch ein Huhn mit.

Dicht bei der Stadt begegnete ihr ein Schlachter. »Willst Du die Kuh verkaufen, Mutter?« fragte er sie. »Ja,« sagte die Frau. »Was willst Du denn dafür haben?« — »Für die Kuh verlange ich drei Groschen,« sagte sie: »aber das Huhn sollst Du für acht Thaler haben.« — »Das Huhn kann ich nicht gebrauchen,« sagte der Schlachter: »und das wirst Du schon los, wenn Du zur Stadt kommst; aber für die Kuh will ich Dir drei Groschen geben.« Sie verkaufte ihm nun die Kuh und erhielt ihre drei Groschen; aber in der Stadt war Niemand, der acht Thaler für ein magres schäbiges Huhn geben wollte. Die Frau ging deßhalb wieder zurück zum Schlachter und sagte: »Gevatter, ich kann mein Huhn nicht los werden; Du musst es mir auch nur abkaufen, da Du doch einmal die Kuh bekommen hast.« — »Nun, wir werden schon Handels eins werden,« sagte der Schlachter. Darauf tractirte er sie mit Essen und gab ihr so viel Branntwein, daß sie trunken ward und Sinn und Verstand verlor.

Während sie nun da lag und schlief, tauchte der Schlachter sie in ein Theerfaß und legte sie dann in einen Federhaufen.

Als sie darauf erwachte, war sie über und über gefiedert und wunderte sich und sprach: »Bin ich's, oder bin ich's nicht? Nein, ich kann's nicht sein, das muß ein großer sonderbarer Vogel sein. Wie soll ich's doch nur erfahren, ob ich's bin, oder nicht? Ja, nun weiß ich's: wenn mich die Kälber lecken, und der Hund mich nicht anbellt, wenn ich nach Hause komme, so bin ich's.«

Der Hund aber sah kaum das Unthier, so fing er an zu bellen, als ob Schelme und Diebe auf den Hof gekommen wären. »Nein, das kann ich unmöglich sein,« sagte sie. Als sie in den Stall kam, wollten die Kälber sie nicht lecken wegen des strengen Theergeruchs. »Nein, das kann ich nicht sein,« sagte sie, stieg auf das Staburdach und fing an, mit den Armen zu schlagen, als ob es Flügel wären, und sie in die Höhe wollte. Als der Mann das gewahr ward, kam er mit der Büchse heraus und zielte nach ihr. »Ach, schieß nicht! schieß nicht!« rief sie: »das bin ich.« — »Bist Du es?« sagte der Mann: »was stehst Du denn da, wie eine Ziege? Komm herunter und thu mir Rechenschaft von Deinem Verkauf!« Sie kroch nun herunter, aber sie hatte nicht einen Heller; denn die drei Groschen, die sie vom Schlachter bekommen hatte, die hatte sie in ihrer Besoffenheit weggeworfen; und als der Mann nun hörte, wie Alles zugegangen war, ward er so zornig, daß er sagte, er wolle von Haus und Hof gehen, und nicht eher zurückkehren, als bis er drei andre Weiber fände, die eben so unklug wären.

Er machte sich nun auf den Weg, und als er eine Strecke gegangen war, erblickte er eine neu aufgezimmerte Hütte, und ein Weib lief mit einem leeren Sieb aus und ein; aber so oft sie hineinlief, warf sie die Schürze über das Sieb, als ob sie Etwas drin hätte. »Warum thut Ihr das, Mutter?« fragte er die Frau. »O, ich will nur ein wenig Sonne hineintragen,« sagte sie: »aber ich weiß nicht, wie es recht zugeht: wenn ich draußen bin, habe ich die Sonne im Sieb, aber sobald ich hineinkomme, ist sie weg. Da ich noch in meiner alten Hütte wohnte, hatte ich Sonne genug, obgleich ich nie das Geringste hineintrug. Wenn mir nur Einer Sonne schaffen könnte, so wollt' ich ihm gern dreihundert Thaler geben.« — »Habt Ihr eine Axt,« sagte der Mann: »so will ich Euch schon Sonne verschaffen.« Er bekam nun eine Axt und damit hau'te er die Fensterlöcher hinein, denn die hatte der Zimmermann vergessen. Sogleich schien nun die Sonne hindurch, und er bekam seine dreihundert Thaler. »Das war Eine!« dachte der Mann und ging weiter.

Nach einer Weile kam er zu einem Hause, in welchem er ein entsetzliches Geschrei hörte. Er ging hinein, und da sah er nun eine Frau, die damit beschäftigt war, ihrem Mann den Kopf mit einem Waschbläuel zu bearbeiten; über den Kopf hatte sie ein Hemd ohne Halsloch gezogen. »Wollt Ihr Euern Mann todtschlagen, Mutter?« fragte er. »Nein,« sagte sie: »ich will nur ein Halsloch in dieses Hemd haben.« Der Mann schrie und geberdete sich übel und sprach: »Gott tröste Den, der ein neues Hemd anhaben soll! Wenn Jemand meiner Frau lehren könnte, ein Halsloch auf eine andre Manier ins Hemd zu kriegen, so wollt' ich ihm gern dreihundert Thaler geben.« — »Das soll bald gethan sein; gebt mir nur eine Schere,« sagte der Andre. Er bekam nun eine Schere, schnitt ein Loch ins Hemd und ging mit seinen Dreihundert davon. »Das war die Zweite!« sagte er bei sich selbst.

Endlich kam er zu einem Bauerhof, wo er sich eine Weile auszuruhen gedachte. Als er in die Stube trat, fragte die Frau ihn: »Wo seid Ihr her, Gevatter?« — »Ich bin aus Ringelreich,« antwortete er. »Nein, was Ihr sagt! seid Ihr aus dem Himmelreich?3 Dann kennt Ihr auch wohl den zweiten Peter, meinen seligen Mann.« — Die Frau war nämlich zum dritten Mal verheirathet; ihr erster und ihr letzter Mann waren schlimm; darum glaubte sie, daß nur der zweite, der gut gewesen war, selig geworden sei. — »Ja, den kenn' ich sehr gut,« sagte er. »Wie geht's ihm denn?« fragte die Frau. »O, es geht ihm nur dürftig,« erwiederte der Ringelreicher: »er schlendert von einem Hof zum andern und hat weder Essen in der Schüssel, noch Kleider auf dem Leibe — an Geld ist nun gar nicht zu denken.« — »Ach, Gott helf mir!« rief die Frau: »er brauchte eben nicht so elend einherzugehen, er, der so Viel hinterlassen hat; hier hangt ein ganzer Boden voll Kleider, die ihm gehörten, und eine große Kiste mit Geld steht hier auch; wenn Ihr's mitnehmen wollt, Gevatter, so will ich Euch gern ein Pferd und einen Karren geben, damit Ihr's fortschaffen könnt; das Pferd kann er da behalten, und auf dem Karren kann er sitzen und von einem Hof zum andern fahren, denn er hat es eben nicht nöthig, zu Fuß zu gehen.« Der Ringelreicher erhielt nun eine ganze Karrenfuhre voll Kleider und eine Kiste voll blankes Silbergeld und so viel Essen und Trinken, als er nur wollte, und damit setzte er sich auf und fuhr davon. »Das war die Dritte!« sagte er bei sich selbst.

Aber draußen auf dem Felde ging der dritte Mann der Frau und pflügte, und da er Jemanden, den er nicht kannte, mit seinem Pferd und seinem Karren abreisen sah, ging er nach Hause zu seiner Frau und fragte sie, was Das für Einer wäre, der mit seinem blauen Pferd davon reis'te. »Ach Der,« sagte die Frau: »das war ein Mann aus dem Himmelreich; er sagte, daß es dem zweiten Peter, meinem seligen Mann, so schlecht gehe, daß er von Hof zu Hof schlendern müsse und weder Kleider, noch Geld hätte; darum schickte ich ihm alle seine alten Kleider, die hier hangen, und auch die alte Geldkiste mit dem Silbergeld.« Als der Mann das hörte, merkte er sogleich, Was die Uhr geschlagen hatte, sattelte sein Pferd und ritt in vollem Galopp davon. Es dauerte nicht lange, so war er dicht hinter dem Ringelreicher. Wie dieser ihn aber gewahr ward, fuhr er den Karren ins Unterholz, riß dem Pferd eine Handvoll Haare aus und lief auf einen Hügel, wo er die Pferdehaare an eine Birke band; darnach legte er sich darunter auf die Erde hin und glotzte und stierte in die Wolken. »Nein! nein!« sagte er so bei sich selbst, als der dritte Peter geritten kam: »nein, so Was hab' ich noch in meinem Leben nicht gesehen!« Peter sah ihm verwundert eine Weile zu, endlich fragte er ihn: »Was liegst Du da und glotzäugst?« — »Nein, so Was hab' ich noch mein Lebtag nicht gesehen!« sagte der Andre: »Hier fuhr so eben Einer mit einem blauen Pferd grade zum Himmel hinauf; da siehst Du noch die Haare, die an der Birke hangen, und da oben in den Wolken siehst Du das blaue Pferd.« Peter sah bald zu den Wolken hinauf, bald nach Dem, welcher da lag und stierte; endlich sagte er: »Ich sehe Nichts, als nur die Pferdehaare an der Birke.« — »Nein, Du kannst es da auch nicht sehen,« sagte der Andre: »aber komm hieher und lege Dich auf diese Stelle hin, und dann musst Du grade in die Wolken sehen, und die Augen nicht wegkehren.« Als nun der dritte Peter da lag und in die Wolken starrte, daß ihm die Augen voll Wasser liefen, schwang der Ringelreicher sich auf das Pferd und machte sich sowohl mit diesem, als mit dem Karren davon. Wie Peter es auf dem Wege rasseln hörte, sprang er auf; aber er war so verstört, als er den Andern mit seinen beiden Pferden und seinem Karren davon jagen sah, daß er sich nicht eher besann, ihm nachzueilen, als bis es zu spät war.

Er ließ die Ohren ziemlich lang hängen, wie er nach Hause kam; als ihn aber seine Frau fragte, wo er das Pferd gelassen hätte, sagte er: »O, ich hab' es ihm für den zweiten Peter mitgegeben; denn ich dachte, es wäre nicht werth, daß er im Himmel auf einem elenden Rumpelkasten sitzen und von Hof zu Hof karren solle; nun kann er die Karre verkaufen und sich einen Wagen anschaffen.« — »Dafür sollst Du Dank haben,« sagte die Frau: »ich hätte nie geglaubt, daß Du ein so guter Mann wärst.«

Als nun der Andre mit den sechshundert Thalern und der Karrenfuhre voll Kleider und der Geldkiste nach Hause kam, sah er, daß aller Acker gepflügt und besä't war. Darum war die erste Frage, die er an seine Frau that, woher sie das Saatkorn bekommen hätte. »O,« sagte sie: »ich habe immer gehört: »Wer da säet, wird auch ernten;« darum hab' ich denn das Salz gesä't, das Die vom Dovrefjeld hier abgesetzt haben, und wenn wir bloß Regen bekommen, wird's wohl aufgehen, sollt' ich meinen.« — »Verrückt bist Du, und verrückt bleibst Du, so lange Du lebst;« sagte der Mann: »aber es mag drum sein! denn die Andern sind auch nicht klüger, als Du.«
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11.

Einem Jeden gefallen seine Kinder am besten.


Ein Schütz ging einmal in einem Wald; da begegnete ihm die Bruchschnepfe. »Lieber Freund, schieß nicht meine Kinder!« sagte die Schnepfe. »Was sind denn das für welche, Deine Kinder?« fragte der Schütz. »Die schönsten Kinder, die im Wald gehen, sind meine,« antwortete die Schnepfe. »Ich will sie denn nicht schießen,« sagte der Schütz. Als er aber zurückkehrte, hatte er ein ganzes Bündel junge Bruchschnepfen, die er alle geschossen hatte, in der Hand. »Au! au! warum hast Du dennoch meine Kinder geschossen?« sagte die Schnepfe. »Waren diese denn Deine?« fragte der Schütz: »ich schoß die häßlichsten, die ich fand.« — »Ach ja,« antwortete die Schnepfe: »weißt Du denn nicht, daß einem Jeden seine Kinder am besten gefallen?«
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12.

Eine Freiergeschichte.


Es war einmal ein Bursch, der ging aufs Freien aus. Da kam er unter anderm auch zu einem Kathen, wo die Leute in purer Armuth und Dürftigkeit lebten. Als aber der Freier kam, wollten sie gern wohlhabend scheinen, kannst Du glauben. Der Mann hatte einen neuen Ärmel in seine Jacke bekommen. »Setz Dich nieder!« sagte er zu dem Freier: »aber 's sieht hier überall so stäubig aus!« und damit ging er umher und wischte und stäubte mit seinem neuen Jackenärmel überall auf den Bänken und Tischen herum; den andern Arm aber hielt er auf den Rücken. Die Frau hatte einen neuen Schuh bekommen, und mit dem stieß sie an alle Bänke und Stühle. »Es liegt hier so Viel herum,« sagte sie: »es sieht hier so unordentlich aus.« Darauf riefen sie die Tochter, sie sollte hereinkommen und aufräumen. Die hatte eine neue Mütze bekommen und steckte den Kopf zur Thür herein und nickte: »Ich kann denn doch auch nicht überall sein,« sagte sie. Ja, das waren rechte Wohlstandsleute, zu denen der Freier gekommen war.
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13.

Die drei Muhmen.


Es war einmal ein armer Mann, der wohnte in einer Hütte, weit weit weg in einem Walde, und ernährte sich mit der Jägerei. Er hatte eine einzige Tochter, die war außerordentlich schön. Da aber die Mutter schon früh gestorben, und das Mädchen nun schon halb erwachsen war, sagte sie eines Tages zu ihrem Vater, sie wolle sich bei andern Leuten in Dienst geben, damit sie lernen könne, sich hiernach selbst ihr Brod zu verdienen. »Ja, meine Tochter,« sagte der Vater: »Du hast bei mir freilich nichts Anders gelernt, als Vögel rupfen, aber Du magst es immerhin versuchen, Dir Dein Brod selbst zu verdienen.« Das Mädchen ging nun fort, um sich einen Dienst zu suchen, und als sie eine Weile gegangen war, kam sie zu einem Königsschloß; da blieb sie, und die Königinn mochte sie so wohl leiden, daß die andern Dirnen ganz neidisch auf sie wurden. Darum sagten sie eines Tages zu der Königinn, das Mädchen hätte sich gerühmt, ein Pfund Flachs in vier und zwanzig Stunden spinnen zu können; denn sie wussten, die Königinn hielt so viel auf Handarbeiten. »Ja, hast Du das gesagt, so sollst Du es auch,« sagte die Königinn zu ihr: »indessen macht es nichts, wenn Du auch etwas mehr Zeit dazu gebrauchst.« Das arme Mädchen wagte nicht, zu sagen, daß sie niemals gesponnen hätte, sondern bat nur um eine Kammer für sich allein; die bekam sie denn auch, und man brachte ihr einen Spinnrocken und Flachs. Da saß sie nun und war betrübt und weinte und konnte sich gar nicht rathen. Sie stellte den Rocken vor sich hin und kehrte und dreh'te ihn, aber sie wusste ganz und gar nicht, wie sie's anfangen sollte; denn sie hatte nie zuvor in ihrem Leben nur einmal einen Spinnrocken gesehen.

Als sie nun so betrübt da saß, trat eine alte Frau zu ihr ein. »Was fehlt Dir, mein Kind?« fragte sie. »Ach,« antwortete das Mädchen: »was kann es nützen, daß ich es Dir sage, denn Du kannst mir ja doch nicht helfen.« — »Man kann nicht wissen,« sagte die Frau: »es wäre doch möglich, daß ich Rath für Dich wüsste.« Ja, ich kann es ihr ja wohl sagen, dachte das Mädchen und erzählte ihr nun, wie ihre Mitdienerinnen ausgesagt hätten, sie habe sich gerühmt, ein Pfund Flachs in vier und zwanzig Stunden spinnen zu können; »aber ich Arme!« sagte sie: »ich habe nie in meinem Leben einen Spinnrocken gesehen, geschweige denn, daß ich so Viel sollte in vier und zwanzig Stunden spinnen können.« — »Es mag nun drum sein, mein Kind!« sagte die Frau: »willst Du mich an Deinem Ehrentag Muhme nennen, so will ich den Flachs für Dich spinnen, und Du kannst Dich hinlegen und schlafen.« Ja, das wollte das Mädchen gern und ging hin und legte sich schlafen.

Am andern Morgen, als sie erwachte, lag aller Flachs gesponnen auf dem Tisch, und das so sauber und fein, daß man nie so schönes ebnes Garn noch gesehen hatte. Die Königinn freu'te sich sehr über das schöne Garn und hielt nun noch mehr von dem Mädchen, als vorher. Darüber wurden die andern noch neidischer auf sie und sagten nun zu der Königinn, jetzt hätte sie sich auch gerühmt, das Garn, das sie gesponnen, in vier und zwanzig Stunden weben zu können. Die Königinn sagte wieder, wenn sie das gesagt hätte, so solle sie es auch, aber es machte nichts, wenn sie auch nicht eben in vier und zwanzig Stunden damit fertig würde. Das Mädchen wagte auch diesmal nicht, ihre Ungeschicklichkeit zu bekennen, sondern bat nur um eine Kammer für sich allein, dann wollte sie es versuchen. Da saß sie nun wieder und war betrübt und weinte und wußte nicht, Was sie anfangen sollte. Es dauerte aber nicht lange, so trat wieder eine alte Frau herein und fragte: »Was fehlt Dir, mein Kind?« Das Mädchen wollte es ihr erst nicht sagen, aber zuletzt erzählte sie ihr denn, Was die Königinn von ihr verlangte. »Ei nun,« sagte die Frau: »es mag drum sein! willst Du mich an Deinem Ehrentag Muhme nennen, so will ich das Garn für Dich weben, und Du kannst Dich hinlegen und schlafen.« Ja, das wollte das Mädchen gern, und damit ging sie hin und legte sich schlafen. Als sie aufwachte, lag alles Garn so sauber und dicht gewebt auf dem Tisch, wie nur möglich. Sie brachte es nun der Königinn, und diese freu'te sich außerordentlich über die schöne Leinwand und hielt jetzt noch weit mehr von dem Mädchen, als zuvor. Aber darüber wurden die andern noch neidischer und erbitterter auf sie und dachten an nichts Anders, als Was sie jetzt angeben sollten, um ihr zu schaden.

Endlich verfielen sie darauf, zu der Königinn zu sagen, jetzt hätte sie sich auch gerühmt, all die Leinwand, die sie gesponnen, in vier und zwanzig Stunden zu Hemden aufnähen zu können. Es ging nun eben so, wie früher: das Mädchen wagte nicht, zu sagen, daß sie nicht nähen könne; sie erhielt wieder ihre Kammer für sich allein und saß da und war betrübt und weinte. Nun trat aber wieder eine alte Frau zu ihr ein und versprach ihr, die Leinwand für sie zu nähen, wenn sie sie an ihrem Ehrentag Muhme nennen wolle. Ja, das wollte das Mädchen gern und that wieder, wie die Frau ihr sagte, ging hin und legte sich schlafen. Am andern Morgen, als sie erwachte, war alle Leinwand zu Hemden aufgenäh't, die auf dem Tisch lagen; eine so schöne Naht hatte man aber noch nie gesehen, und die Hemden waren alle hübsch gezeichnet und völlig fertig. Als die Königinn die Arbeit sah, freu'te und verwunderte sie sich so sehr über die schöne Naht, daß sie die Hände über dem Kopf zusammenschlug. »Nein, eine so schöne Naht habe ich noch nie gesehen,« sagte sie, und von nun an hatte sie das Mädchen so lieb, wie ihr eignes Kind. »Wenn Du jetzt den Prinzen haben willst, so sollst Du ihn bekommen,« sagte sie zu dem Mädchen: »denn Du hast niemals nöthig, Etwas aus dem Hause zu geben, da Du Alles selbst spinnen und weben und auch nähen kannst.« Weil das Mädchen nun so schön war, und der Prinz sie gern leiden mochte, wurde auch sogleich die Hochzeit gehalten. Als sich aber der Prinz mit ihr zur Tafel gesetzt hatte, trat plötzlich ein altes häßliches Weib herein mit einer langen langen Nase — die war gewiß drei Ellen lang.

Da stand die Braut auf, ging auf die Alte zu und sagte: »Guten Tag, Muhme!« — »Ist das die Muhme meiner Braut?« fragte der Prinz. Ja, das wäre sie. »Ja, so müssen wir sie denn wohl mit bei Tafel sitzen lassen,« sagte der Prinz; aber er sowohl, als die Andern meinten doch, sie wäre gar zu garstig, um mit ihnen bei Tafel zu sitzen.

Nicht lange darnach trat wieder ein altes häßliches Weib ein, die hatte einen Allerwerthesten, so dick und so breit, daß sie nur mit genauer Noth zur Thür herein konnte. Sogleich stand die Braut auf und grüßte sie und sagte: »Guten Tag, Muhme!« und der Prinz fragte wieder, ob das auch eine Muhme seiner Braut wäre. »Ja,« antworteten beide, und sie mußte sich nun ebenfalls an die Tafel setzen.

Kaum aber hatte sie sich niedergesetzt, so trat wiederum ein altes häßliches Weib ein, mit Augen, so groß, wie ein Paar Teller, und so roth und fließend, daß es ganz abscheulich aussah. Die Braut stand wieder auf und grüßte sie und sagte: »Guten Tag, Muhme!« und der Prinz bat auch sie, sich an die Tafel zu setzen, aber er dachte bei sich selbst: »Gott steh mir bei wegen all der Muhmen, die meine Braut hat!« Als sie ein wenig gesessen hatten, konnte der Prinz sich nicht enthalten, zu sagen: »Wie in aller Welt kann doch meine Braut, die so schön ist, so hässliche und missgestaltne Muhmen haben!« — »Das will ich Dir sagen,« versetzte die eine: »ich war eben so schön, wie Deine Braut, da ich in ihrem Alter war; aber daß ich eine so lange Nase habe, kommt daher, weil ich so viel gesessen und gesponnen und dabei den Kopf beständig gerüttelt und geschüttelt habe; davon hat sich die Nase ausgedehnt und ist so lang geworden, wie Du sie jetzt siehst!« — »Und ich,« sagte die zweite: »ich habe von meiner Jugend an auf dem Webstuhl gesessen und immer hin und her gehuppelt; davon ist mein Allerwerthester so groß geworden und so angeschwollen, wie Du ihn jetzt siehst.« Darauf sagte die dritte: »Ich habe, seit ich ganz klein war, immer da gesessen und auf das Nähzeug gestiert; davon sind meine Augen so häßlich und roth geworden.« — »Na, so!« sagte der Prinz: »das war gut, daß ich das zu wissen bekam, wie die Leute von Dergleichen so häßlich werden können; so soll denn nun meine Braut auch in ihrem Leben nicht wieder spinnen, noch nähen, noch weben!«
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